Kurzbericht #kr0308

Mit insgesamt 175 Personen haben wir gestern gemeinsam gegen die Krefelder „Corona-Rebellen“ demonstriert. Nach nun 3 Monaten montäglichen Kundgebungen konnten die Verschwörungsideologinnen und -ideologen damit erstmals nicht ungestört ihre teils antisemitische Agenda auf dem Theaterplatz verbreiten.

Um 18:30 Uhr, eine halbe Stunde vor der Anti-Corona-Kundgebung, fand sich bereits das breite Bündnis aus antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen und Parteien am Theaterplatz ein. In Redebeiträgen unter anderem von den Jusos, der Grünen Jugend und uns wiesen wir auf die extrem rechten Personen und Positionen innerhalb der Gruppe hin und befassten uns ausführlich mit dem antisemitischen und eliminatorischen Charakter von Verschwörungswahn. Unseren Redebeitrag dazu haben wir unten dokumentiert.

Auf der Seite der Verschwörungsgläubigen fanden sich mit insgesamt 50 Personen zwar mehr ein als in den vergangenen Wochen (30-40 Personen), als ein großes Aufbäumen, wie wir es nach der Großdemonstration in Berlin und der auch überregionalen Mobilisierung befürchtet hatten, kann das allerdings nicht angesehen werden. Ihre übliche Leier spulten sie diesmal eine halbe Stunde länger ab als gewohnt, wurden durch den sehr lauten Gegenprotest allerdings durchgehend übertönt. Die Polizei war kaum vertreten und hielt sich auffällig zurück, musste nur den Aufruf zur Remonstration seitens der „Corona-Rebellen“ über sich ergeben lassen.

Um 20:30 Uhr haben wir die Demonstration ohne weitere Vorkommnisse beendet. Einen riesen Dank an alle, die sich am Gegenprotest beteiligt haben.

Redebeitrag:

Wer einen Blick in die Youtube- und Telegramkanäle der Xavier Naidoos, Oliver Janichs und Ken Jebens wirft, dem mag es schwer fallen, jene Kreise ernst zu nehmen. Viel zu naheliegend scheint es, Screenshots an unsere Freundinnen und Freunde zu schicken, um gemeinsam über die abstrusen Theorien zu lachen und die Akteure als „idiotische Spinner“ einzuordnen. Dabei vergessen wir allzu häufig, dass an Verschwörungswahn rein gar nichts lustig ist; er stattdessen sogar eine enorm unterschätzte Gefahr darstellt.

Weshalb dieser Verschwörungswahn untrennbar mit Vernichtungsphantasien verbunden ist und was das Ganze mit Antisemitismus zu tun hat, darauf möchten wir im folgenden Redebeitrag eingehen:

Gerade für uns als Gruppe mit antifaschistischem Selbstverständnis ist es ein Anliegen, autoritären Tendenzen in der Gesellschaft und der Regierung entgegenzuwirken und staatliches Handeln zu hinterfragen – auch während der Corona-Pandemie. Gleichzeitig halten wir eine kritische Beobachtung der Medienlandschaft in Deutschland für notwendig. Mit all dem haben die sogenannten „Corona-Rebellen“ – entgegen ihres Selbstverständnisses – unserer Meinung allerdings nichts zu tun:

Ihr erster Fehler besteht darin, die disziplinären Maßnahmen, die zur Bekämpfung einer Pandemie vor allem in Deutschland als zwingend notwendig erscheinen, umzudeuten. Und zwar zu einer angeblich autoritären Formierung des Staates. Dass jene Kreise sich nicht etwa gegen die Umsetzung der tatsächlich autoritären Polizeigesetze oder die mörderische Abschottung an den Außengrenzen Europas organisierten, spricht dabei Bände. Denn die Corona-Rebellen sind alles andere als rebellisch. Ihre Kritik dient allein der pseudorebellischen Mobilisierung als Selbstzweck. Viel mehr noch, ist bereits der Begriff „Kritik“ völlig fehl am Platz, weil es sich lediglich um Parolen und Empörung handelt, die jeglichen Wirklichkeitsbezug vermissen lassen und sich von jeder rationalen Betrachtung verabschiedet haben. Ihre Theorien liefern keinen Beitrag zu einer Analyse und Reflexion der herrschenden Verhältnisse, sondern stehen diesen im Weg. Aber was heißt das konkrekt?

Ein Großteil der Corona-Rebellen vertritt die Auffassung, hinter der globalen Pandemie stecke nicht ein natürliches Virus, sondern der Plan einer mehr oder weniger geheimen Elite. Ob diese Elite uns durch das Impfen mit Mikrochips nun versklaven wolle oder ganz andere Ziele dahinter stehen, ist an dieser Stelle nicht entscheidend. Entscheidend ist bereits die Vorstellung, einzelne „gierige“ Personen und Gruppierungen würden das gesamte Weltgeschehen nach ihrem Gusto lenken, um eine „Neue Weltordnung“ aufzubauen. Diese Vorstellung ist alles andere als neu. Historisch wurden fast ausschließlich Jüdinnen und Juden als diese Geheimelite identifiziert. Seien es antisemitische Schriften aus dem 19. Jahrhundert, in denen Schutzimpfungen als Mittel der Juden zur finanziellen Ausbeutung der Bevölkerung angesehen wurden. Oder die Lügenschrift „Die Weisen von Zion“, die als DAS zentrale Mobilisierungsdokument der Nationalsozialisten fungierte, um eine angebliche jüdische Weltverschwörung zu belegen. Der Duktus hat sich bis heute kaum geändert. Jüdinnen und Juden wurden und werden als parasitäre Fremde angesehen, die andere Völker, insbesondere das deutsche, mithilfe von Lügen und Täuschungen zersetzen wollten.

Dieser Antisemitismus hat sich insbesondere mit dem Aufkommen der Moderne und des Kapitalismus stark verbreitet. Vertreterinnen und Vertreter solcher Ansichten verstehen sich selbst als antikapitalistisch. Doch statt wirklich hinter die Kulisse des kapitalistischen Ganzen zu schauen, dienen Juden und Jüdinnen als die Konkretisierung eines nicht zu fassenden Abstrakten. Man kann nicht oft genug betonen, dass ein solcher personalisierter Antikapitalismus gar nicht erst als solcher betitelt werden sollte, sondern schlicht als antiempanzipatorisch abzulehnen ist.

Betonen wollen wir an dieser Stelle, was den „Antisemitismus“ so besonders macht. Weit verbreitet ist die Vorstellung, beim Antisemitismus handele es sich um eine Art Rassismus gegen Jüdinnen und Juden. Doch während der Rassismus Menschen in angebliche Rassen einordnet, um bestimmte Gruppen als minderwertig kennzeichnen zu können, funktioniert der Antisemitismus im Grunde entgegengesetzt. Die Vorstellung von Jüdinnen und Juden als intelligente Drahtzieher und gerissene Verschwörerinnen sorgt neben der Verachtung auch für einer Überhöhung und damit zu einer übernatürlichen Entmenschlichung, wie man sie auch bei der Verschwörungsideologie rund um Reptiloiden sehen kann. Gewissermaßen logisch erscheinen da die eliminatorischen Phantasien, die schon von den Nationalsozialisten als „Endlösung der Judenfrage“ propagiert wurde. Denn Jüdinnen und Juden galten nie als EIN Problem unter vielen, sondern als DAS Problem schlechthin, dessen man sich nur durch eine totale Vernichtung entledigen könne.

Heute verzichten AntisemitInnen aus taktischen Gründung auf die konkrete Nennung von Jüdinnen und Juden. Doch wenn etwa Q-Anon-Anhänger, wie sie auch in Krefeld vertreten sind, von den „Rothschilds“, „George Soros“, „Rockefeller“, „Zionisten“ oder noch allgemeiner „satanischen Kräften“ reden, dann können sie sich darauf verlassen, dass verstanden wird, von wem die Rede ist. Die ausdrückliche Benennung ist lediglich eine Frage der Ausbuchstabierung, die keinen Einfluss auf die dahinterstehenden Theorien hat. Dabei bedarf der Antisemitismus noch nicht einmal Jüdinnen und Juden, um verbreitet zu werden. Es genügt bereits die Vorstellung einer alles-lenkenden Geheimgruppe, der jüdische Merkmale zugeschrieben werden. Deswegen sind auch entsprechende Verschwörungsideologien bezüglich Bill Gates als, zumindestens strukturell, antisemitisch anzusehen.

Dass die heutigen Q-Anon Verschwörungsgläubigen tatsächlich in alter Tradition stehen, zeigt etwa ein Blick auf die Attentäter von Hanau, Halle oder Christchurch. Alle Personen können der verschwörungsideologischen Szene zugeordnet werden und vertraten teilweise Ansichten der sogenannten Reichsbürger, nach denen die BRD eine GmbH sei; identifizierten sich selbst aber nicht als rechtsradikal oder antisemitisch, sondern als „ganz normale Bürger“. In ihrer verschwörerischen Wahnwelt sahen sie die mörderischen Anschläge als einzig logische Schlussfolgerung. Befeuert wurden sie dabei von unzähligen Gleichgesinnten im Internet, die sich gegenseitig radikalisierten und bestätigten.

Dieses gegenseitige Bestärken und Hochpushen durch ein Kollektiv lässt sich in abgeschwächter Form auch bei den Krefelder Corona-Rebellen beobachten. Zunehmend wird ein Weltbild aufgebaut, das immun gegen jegliche rationalen Einwände ist. Schließlich gewinnen die absurdesten Theorien an Kraft und führen zu einer Radikalisierung der gesamten Gruppe. Wenn die Veranstaltenden und Teilnehmenden der Anti-Corona-Demo am Samstag in Berlin etwa von 1,3 Millionen Menschen reden, dann scheint jegliche Diskussionsgrundlage zu fehlen. Mit Logik, Aufklärung und Kritik lässt sich dem nicht entgegen wirken. Unserer Auffassung nach aus zwei Gründen:

1. Verschwörungsideologien bewegen sich jenseits jeglicher Vernunft und zielen nie darauf ab, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu begreifen. Vielmehr ist es für die Mobilisierung sogar von Vorteil, unscharfe Mythen mit esoterischem Geschwurbel statt nachprüfbarer Theorien zu präsentieren. Entsprechend verwundert es nicht, dass „sich gegenseitig ausschließende“ Theorien gleichzeitig verbreitet werden. Wichtig ist die irrationale Überzeugung, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehe. Bei konkreten Nachfragen flüchten sich die VerschwörungsideologInnen dann immer weiter in ihre Wahnwelt und verdeutlichen damit nur, dass es eigentlich gar nicht um etwa Corona oder die Maskenpflicht, sondern um etwas viel größeres gehe. Alle Gegenargumente werden wie selbstverständlich als eigentlicher Beweis für das eigene Weltbild eingebaut, was unweigerlich zu einer nie enden wollenden Spirale an Verschwörungen führt.

2. Wer sich durch entsprechende Telegramgruppen kämpft, wird stündlich mit immer neuem Quatsch bombadiert. Meist in Form von mehrstündigen Videos auf Youtube. Ein gewissenhafter Faktencheck könnte jedes dieser Videos nach aufwendiger Recherche widerlegen. In dieser Zwischenzeit wurden die VerschwörungsanhängerInnen allerdings mit hunderten neuen Videos berieselt. Selbst wenn einzelne Personen empfänglich für eine faktenreiche Kritik wären, wäre damit nicht einmal 1% der im Umlauf befindlichen Inhalte widerlegt. Denn: An einem Tag lässt sich weitaus mehr Müll produzieren als widerlegen.

Mit Verschwörungsideologen erübrigt sich unserer Meinung nach daher jeglicher Diskurs. Oder um es mit den Worten der Antilopen Gang zu sagen: Man kann und darf mit diesen Leuten gar nicht mehr reden. Es sollte nur noch darum gehen, ihnen das Handwerk zu legen.