Sechs Jahre ist unsere Gründung als antisemitismuskritische Antifagruppe her. Hatten wir ursprünglich geplant, vor allem vom Seitenrand aus zu agieren, landeten wir doch unerwartet schnell im Handgemenge und passten unser Wirken der neuen Situation an, nun von Innen auf eine Theoretisierung oder zumindest Selbstreflexion antifaschistischer Praxis und Analyse hinzuwirken. Blicken wir zurück, lässt sich kaum bestimmen, ob unsere damalige Wahrnehmung, damit nicht ganz unerfolgreich zu sein, mehr Wunsch oder Realität darstellte. Ersteres scheint sich aufzudrängen.
Der 7. Oktober 2023 war für uns alle ein Schock. Wie kein anderes Ereignis legte es den Zusammenhang von Antizionismus, palästinensischem Nationalismus und eliminatorischem Antisemitismus offen. Wir waren uns sicher, dass Teile der radikalen Linken – obgleich wir uns keine Illusion über ihren Zustand machten – das ähnlich sehen würden und sich daraus eine erhöhte Nachfrage nach einer kritischen Theorie des Antisemitismus ergeben müsste. Entsprechend haben wir in den nachfolgenden Monaten viel Zeit und Energie darauf verwendet, diese Erwartung aufzugreifen. Und damit standen wir glücklicherweise nicht alleine da.
Heute, fast zwei Jahre nach dem größten Massenmord an Jüdinnen und Juden nach 1945 – ein Verbrechen mit wahrlich genozidaler Absicht –, scheint von dieser Nachfrage wenig übrig zu sein. Sofern es sich beim 7. Oktober um einen Wendepunkt gehandelt haben könnte, so um einen, an dem die (radikale) Linke wieder ganz zu sich selbst fand. Hatte diese schon die Shoah als eben auch partikulares Verbrechen ignorieren müssen, um sich ja nicht mit Antisemitismus zu befassen, so spricht auch heute niemand mehr vom 7. Oktober – höchstens in Form eines lieblosen Halbsatzes in einem Pamphlet gegen Israel oder als legitimem Befreiungskampf mit einem historisch einseitigen Verständnis unter dem Motto „Es begann nicht am 7. Oktober“.
Dass wir den Kampf verloren haben, ist zwar bitter, aber rückblickend kaum überraschend. Es ist nicht das Resultat eines verlorenen hegemonialen Kampfes um Deutungshoheit, der auch anders hätte ausgehen können. Vielmehr scheint es auf eine Fehleinschätzung unsererseits zurückzugehen, von der radikalen Linken könne man mehr erwarten als plumpeste, häufig kaum von Antisemitismus zu trennende, Revolutionssehnsucht und von der liberalen Linken mehr als eine rein assoziative Empathie für die als unterdrückt wahrgenommene Gruppe. Wir sind beileibe nicht die ersten, die dieser bitteren Realität ins Auge blicken mussten und werden sicherlich nicht die letzten gewesen sein.
Für uns kann es aber nun kein Zurück mehr geben. Der Abgrund, von dessen Existenz wir stets wussten, liegt offen da und beim Anblick der angsteinflößenden Tiefe entschwindet jeder letzte Funke an Zugehörigkeitsgefühl. Einige von uns fühlen sich den „linken Idealen“ noch verbunden, andere haben sich auch davon verabschiedet. Einige haben sich aus der politischen Auseinandersetzung zurückgezogen, andere haben sich neu organisiert. So oder so: Der Schock sitzt tief.
Unser herzlicher Dank gilt allen, die uns in der Zeit nach dem 7. Oktober begleitet haben. Viel Erfolg Euch, die weiterhin versuchen, das Unmögliche möglich zu machen.
antifa désaccord krefeld
2019–2025
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PS: Wir stehen in keinem Verhältnis zu neuen Gruppen in Krefeld.
Gegen jeden Antisemitismus!