Broschüre „(extrem) rechte Strukturen in Krefeld 1945–2023“ erhältlich

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„Der erste Arbeiteraufstand der deutschen Geschichte“ – Karl Marx

Am 4. November 1828 rebellierten etwa 2000 Krefelder Seidenweber gegen ihre schlechte Bezahlung und die Absicht der Fabrikbesitzer, die Löhne um 15% zu kürzen. Im Zuge des Aufstandes wurden die Häuser mehrerer Fabrik-Besitzer aufgesucht und die Fensterscheiben der Familie von der Leyen mit Steinen eingeworfen. Die „Seidenbarone“ von der Leyen zählten damals zum wichtigsten Textilunternehmen in der Seiden-Metropole Krefeld.

Ende des 18. und Anfang/Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Arbeitsbedingungen hart. 12- bis 18-Stunden-Arbeitstage bei unerträglicher Hitze und starkem Lärm waren die Regel. Etwa 40% der Krefelder Seidenarbeiter waren unter 14 Jahre, eine große Anzahl soll sogar nur 5 oder 6 Jahre alt gewesen sein. Der nach Ankündigung einer massiven Lohnsenkung – nicht nur der von der Leyens – organisierte Aufstand wurde nach kurzer Zeit durch das herbeigeeilte 2. Westfälische Husaren-Regiment niedergeschlagen. Der „erste Arbeiteraufstand der deutschen Geschichte“, wie Karl Marx ihn nannte, blieb also weitestgehend folgenlos.

20 Jahre später, im Zuge des Umbruchs in Frankreich und Deutschland, mussten die Fensterscheiben der Krefelder „Seidenbarone“ am 20. März 1848 erneut dran glauben. Das Wohnhaus des besonders verhassten Seidenunternehmers Abraham ter Meer wurde von den aufgebrachten Arbeitern gestürmt und verwüstet. Weil die „Seidenbarone“ weitere Ausschreitungen fürchteten, ließen sie militärische Hilfe herbeirufen und setzten sich eine Woche später mit einer Delegation der Weber an einen Tisch, um verschiedene Arbeitnehmerrechte schriftlich festzuhalten – es entstand ein Vorläufer des heute üblichen Tarifvertrages.

Umso erstaunlicher, dass der Seidenweberaufstand sowohl in der Krefelder als auch der marxistischen Geschichtsschreibung keinerlei nennenswerte Rezeption findet. Gelten die „Seidenbarone“ rund um von der Leyen, ter Meer oder de Greiff als die maßgeblichen politischen Former der Stadt und ihrer Geschichte, finden sich die Samtweber lediglich als lokalpatriotische Folklore und Sinnbild für die Seidenkultur in der Selbstwahrnehmung wieder.

Die Erzählung Krefelds als Samt- und Seidenstadt ist eine zutiefst apolitische. Dabei zeigt der Weberaufstand, dass die Arbeiter mehr waren als nur wehrloses Menschenmaterial, das den „Seidenbaronen“ als Arbeitskraft unterstand, sondern handelnde und politische Subjekte, die ein erstes Kapitel in der langen Geschichte für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen und ein eigenes Bewusstsein als Arbeiter geschrieben haben. Was fehlt, ist eine gesellschaftskritische Geschichtsschreibung des Konflikts von unten statt der Versöhnung von oben.

Stadt Krefeld wirft Diskussionsveranstaltung zum Krieg in Kurdistan aus dem Kulturprogramm

Auch 2022 findet in Krefeld wieder die „interkulturelle Woche“ statt, in der unter dem Motto „Raus aus Deiner Bubble #offengeht #wirinkrefeld“ Veranstaltungen dazu einladen, „sich zu neuen Perspektiven inspirieren zu lassen, in den Austausch zu gehen mit Menschen und Institutionen“. Oberbürgermeister Frank Meyer leitet das Programm im Vorwort u. a. wie folgt ein: „Denn am liebsten bewegen wir uns natürlich in unserem eigenen Umfeld und verbringen unsere Zeit mit Menschen, die ähnlich ticken wie wir selbst. Dass auch jenseits des Gartenzauns spannende Lebensgeschichten, bedenkenswerte Positionen und interessante Menschen warten, das lässt sich bei der Interkulturellen Woche stets aufs Neue erleben.“

Ganz so ernst hat man diese Floskel aber scheinbar nicht genommen. Denn die von der Linken Ratsgruppe organisierte Veranstaltung „Deutsch-Türkische Freundschaft. Der ewige Krieg gegen Kurdistan“ wurde kurzerhand aus dem Programmheft gestrichen – nachdem dieses bereits gedruckt war. Protest war vermutlich von der „UNION der Türkischen und Islamischen Vereine in Krefeld“ an Herrn Meyer herangetragen worden. Die Veranstaltung – so auch die spätere Begründung – gefährde den sozialen Frieden in Krefeld.

Vorausgegangen war dieser Entscheidung ein weiterer Konflikt vor über einem Monat: Der Rat der Stadt Krefeld stimmte erfolgreich über eine Resolution ab, den Angriffskrieg der Türkei in Nordsyrien und im Nordirak zu verurteilen. Mitglieder der UNION versuchten durch Stören der Debatte und durch verbale Attacken, das Votum zu beeinflussen – erfolglos. Dass nun das Programm der „interkulturellen Woche“ um eine wichtige Perspektive gebracht wird, kann man durchaus als späten Kompromiss oder Einknicken vor dem türkisch-islamischen Verein werten. Dabei verwundert es ohnehin, dass die UNION einen solch starken Einfluss auf die Krefelder Lokalpolitik zu nehmen im Stande ist.

Neben mehreren DİTİB-Gemeinden (die bekanntermaßen als verlängerter politischer Arm der Türkei gesehen werden können) ist auch die Islamische Gemeinschaft Haci Bayram Veli Camii e.V. Mitglied des Vereins; eine Moscheegemeinde, die zur islamistisch-nationalistischen – und zumindest in Teilen antisemitischen – Millî Görüş-Bewegung gehört.

Natürlich findet die Diskussionsveranstaltung der Linken Ratsgruppe und des Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereins zum Angriffskrieg in Kurdistan trotzdem statt – nur eben nicht im Zuge der „interkulturellen Woche“. Diskutieren werden Ismail Küpeli und Ayten Kaplan, im Anschluss gibt es Live-Musik.

27.9.22 18:00 Uhr im Südbahnhof. Jetzt erst recht.

Kurzbericht #kr0705

Mit 140 Personen waren wir heute auf der Straße, um gegen den Wahlkampfabschluss der AfD NRW in Krefeld zu protestieren. Unsere Demonstration zog vom Hauptbahnhof über die Einkaufsstraße zum Rathausplatz, wo die AfD bereits ihre spärlich besuchten Stände aufgebaut hatte. Die folgenden zwei Stunden Redebeiträge wurden immer wieder durch den lauten Gegenprotest übertönt. Lieben Dank an alle, die sich uns angeschlossen haben und so kurz vor der Landtagswahl noch einmal deutlich gemacht haben: Die AfD ist ganz sicher keine Alternative, sondern vielmehr das Gesicht der ganz „normalen“ Hässlichkeit.

Nicht vorenthalten möchten wir diese grandiose Analyse des Klimawandels aus der Rede des Krefelder AfD-Politikers Martin Vincentz:

„Aber schön, dass wir das mal in aller Deutlichkeit so sehen konnten, wo Ihr Euch da drüben [Gegenprotest] so schön vermummt bei diesem schönen Wetter aufstellt. Bei diesem schönen Wetter sich zu vermummen, da sind wir vielleicht beim nächsten Thema. Die Sonne scheint heute AfD-Blau vom Himmel, ein wunderschönes Zeichen. Ich denke, der ein oder andere von Euch [AfD-Publikum] wird extra nochmal durch die Gegend gedieselt sein, um den eigentlich angekündigten Regen zu verhindern. Und wenn man Euch dann als Klimaleugner bezeichnet, wer leugnet denn dann das Klima? Ihr heut in Sommerkleidung oder die, die voll vermummt hinter ihren Transparenten stehen und den Regen von oben erwarten?“

Eine Empörung über die Armutsverachtung im Bürgerblättchen

Screenshot RP-Artikel "Krisengipfel zur Bettelei in der City"

In seinem Artikel „Krisengipfel zur Bettelei in der City“ (RP, 23.09.) springt Jens Voss der Krefelder Werbegemeinschaft rund um Christoph Borgmann zur Seite, deren „Krise“, bar jeder Analysebereitschaft, auf „aggressives“ Betteln zurückgeführt wird.

Eine Empörung über die Armutsverachtung im Bürgerblättchen:

Es sollte in einem Text wie diesem nicht darum gehen, aus dem warmen Nest heraus Partei für die Ärmsten zu ergreifen und sich auf einfachsten Weg auf die Seite der moralischen Überlegenheit zu schlagen – aber angesichts der sozial-snobistischen Armutsverachtung eines Jens Voss und all jener, denen er das Wort schreibt, fällt es schwer, eben das nicht zu tun.

In der Rheinischen Post fordert man ein strikteres Vorgehen gegen „aggressives“ Betteln aber eigentlich gegen Betteln überhaupt, man empört sich über die „Dreistigkeit“ jener, welche wegen Sucht und Armut genötigt sind, soziale Gepflogenheiten über Bord zu werfen und man empört sich vor allem über die Umsatzeinbußen des durch die Corona-Pandemie ach so geplagten Einzelhandels.

Freilich außer Acht gelassen wird, dass der bürgerliche Staat sein kapitalinteressengeleitetes Klientel, also auch die Einzelhändler, nicht so im Stich gelassen hat, wie Jammerlappen- Yuppies (Christoph Borgmann) es ununterbrochen darstellen und freilich außer Acht gelassen wird auch, dass Lockdown-entleerte Einkaufsstraßen jene am härtesten getroffen haben, welche ohnehin durch alle staatlichen Netze fielen und die nach ihrem ungebremsten Sturz auf die Mikro-Spendenbereitschaft innerstädtischer Laufkundschaft angewiesen sind – man könnte es sich in seiner ganzen verkommenen Überheblichkeit nämlich sonst nicht so leicht machen, wenn es auf die Suche nach Schuldigen für die „geplagte“ Einzelhändler-Szene geht.

Denn klar, gäbe es all die störenden armen Menschen nicht, dann hätten sicherlich alle gut betuchten des Krefelder Umlands nichts Besseres zu tun, als sich am Wochenende die phänomenale Shopping-Experience der Krefelder Innenstadt aufs Erlebniskonto zu packen, denn nirgendwo sonst ist ein Flanieren zwischen exklusiven Douglas-Filialen, einzigartigen O2-Shops und avantgardistischen C&A-Ketten so reizvoll und gut möglich wie hier.

Armut wird bei Jens Voss und Konsorten zum negativen Alleinstellungsmerkmal dieser Stadt, damit man sich eine gründlichere Ursachenforschung ersparen kann. Das Problem sind für sie die, die eh schon unten sind – da tritt es sich auch leichter. Die übliche Leserschaft dürfte sich lakonisch kopfschüttelnd und völlig bestätigt in ihre Ohrensessel zurücklehnen, ohne zu zögern Partei für das alt-eingesessene ergreifen und in Zukunft das (Herren-)Handtäschchen noch etwas fester umklammern, wenn die Hoch- zur Neusserstraße wird.

Angesichts der ihnen unbewussten Tatsache, dass den meisten selbst das Damoklesschwert der Prekarisierung über dem Haupte schwebt, wird man sich der Verdrängung dieses Umstandes gerne hingeben und suhlt sich in der Verachtung gegenüber jenen, die es schon erwischt hat. Verharrend in einem anachronistischen Standesdenken ignoriert man die Tatsache, dass immer mehr immer ärmer werden, verneint das als ein konkretes Bedrohungsszenario für sich selbst und verhält sich wie gewohnt maximal affirmativ jenen Umständen gegenüber, deren Resultat es ist, dass man auf seinem Weg zu Deichmann öfter und öfter nach ein paar Cent gefragt wird.

Der Inhaber des sportlich-eleganten Haute Couture Geschäfts Borgmann spricht von „blank liegenden Nerven“, von „furchtbaren Tagen“, ja sogar von „Beängstigung“ – und all das ist auch angebracht, nur aus völlig anderen Gründen.

Seine und Voss’ Armutsschilderung führt zu dem, was sie ihnen nach auch bezwecken soll – Armutsverachtung, bräsige Selbstzufriedenheit und ein „härteres Durchgreifen“ – aber nicht zu dem, was sie eigentlich hervorbringen sollte: Empörung, Unbehagen, Beunruhigung und ein Gewahrwerden darüber, dass eine Gesellschaft, in der es Armut gibt, eine unmenschliche Gesellschaft ist, die unter keinen Umständen so bleiben darf.

Beuys in Krefeld – Kein Grund zum Feiern

beuys in krefeld – kein grund zum feiern

„Krefeld – schmucklose Industriestadt am linken Niederrhein“ – wäre wohl die zutreffendste Beschreibung für diesen Fleck zwischen Ruhrgebiet und Rheinland. Da jedoch Realität und Selbstwahrnehmung oft weit auseinanderklaffen, präsentiert sich Krefeld an seinen Ortseingängen als „Stadt am Rhein“, was nur sehr bedingt zutrifft, oder, noch peinlicher, als „Stadt wie Samt und Seide“, was jeder Person ohne Sehschwäche wie ein schlechter Scherz vorkommen muss.

2021 wurde unter der Schirmherrschaft Armin Laschets zum großen Beuys-Jahr ausgerufen und für das hiesige Stadtmarketing eröffnete sich so eine weitere Möglichkeit, Krefeld mit einem zweifelhaften Attribut auszustatten – Krefeld ist Beuys-Stadt. Tatsächlich wurde Joseph Beuys vor 100 Jahren in Krefeld geboren, verbrachte aber dort bloß seine ersten drei Lebensmonate. Doch wenn jubiliert wird, will man schließlich was vom Kuchen abhaben. Vom Jugendtheater über die Volkshochschule bis zur Burg Linn wird in fast allen städtischen (Kultur)Institutionen dem Fett&Filz-Künstler gehuldigt.

Zudem kann man im ganzen Stadtgebiet auf „den Spuren von Beuys“ wandeln – hierbei hat es den Anschein als habe man, damit es sich nicht nach zwei Stationen ausgewandelt hat, jede Belanglosigkeit mit entferntestem Beuys-Bezug zur biografischen Landmarke erhoben.

Zentrum der lokalen Festivitäten ist das Kaiser-Wilhelm-Museum, dessen Vorplatz im Stile eines Lidl-Parkplatzes jüngst nach Joseph-Beuys benannt wurde. An Beuys‘ Geburtshaus prangt eine Gedenktafel und jede zweite Straßenlaterne wird von Werbeplakaten der offiziellen „beuys2021“-Kampagne geziert. Beuys ist gerade überall.

Doch mit wem schmückt man sich da eigentlich? Wenn mal wieder keine Verrenkung gescheut wird, um auf etwas stolz sein zu können, dann lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Die Kampagne „Beuys behind the scenes“ hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Entgegen der posthumen Verklärung Beuys‘ zum links-ökologischen Radikal-Demokraten, handelt es sich bei dem einflussreichsten deutschen Nachkriegskünstler nämlich keineswegs um einen progressiven Humanisten.

Banner und Redebeiträge #kr3108

Redebeiträge als Video (Facebook-Link)

„Wird antisemitische Gesinnung laut, so fühlt sie sich als bürgerlich und aufsässig zugleich.“ (Max Horkheimer)

Es ist ein weit verbreiteter Trugschluss, dass die ökonomische Mitte mit der politischen Mitte zusammenfällt. Tatsächlich gedeiht der Faschismus gerade im Bürgertum; bzw. dort, wo das Bürgertum aufhört, bürgerlich zu sein. Eine Erkenntnis, die bereits bei Erscheinen der „Dialektik der Aufklärung“ 1944 nicht wirklich neu war. Die Idee, „gutwillige Bürger“, die sich die Begriffe „Demokratie“, „Frieden“ und „Liebe“ auf die Fahnen geschrieben haben, könnten nicht faschistisch oder antisemitisch sein, ist – auch historisch gesehen – vollkommen haltlos. Gerade die am stärksten an die Normen und Moralvorstellungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Angepassten, hegen die stärksten Aggressionen gegen Unangepasste und Normverletzer, was sich in einer hohen Anfälligkeit für faschistische Ideologie niederschlägt.

Ihre bürgerliche Selbstidentifikation fängt schnell an zu bröckeln, wenn man gegen die „Berufspolitikerklasse“ ins Feld zieht, was sich auch in den Krefelder Telegramgruppen beobachten lässt: Staatskrebs. Bilderberger Schuldknechtschaft. Der Dreck muss weg. Elende Wesen. Dunkle Mächte. Freimaurer Volksverhöhnung. Oder die Entmenschlichung von PolitikerInnen.

Auch das Selbstbild als Kämpfer gegen eine angebliche Merkel- oder EU-Diktatur ist schnell als Farce entlarvt, wenn man einen Blick darauf wirft, wer für die bundesweiten und Krefelder „Querdenker“ als Vorbild gilt: Trump und Putin. Und nicht zu vergessen das auf Disziplin gefußte Deutsche Kaiserreich. Es sollte klar sein, dass jene Personen nicht auf die Straße gehen, um gegen eine Diktatur zu demonstrieren, sondern um eine zu errichten.

„Es gehört zu den Grundstücken der deutschen Ideologie, dass es keine Einzelgänger geben soll.“ (Theodor W. Adorno)

Es ist kein Zufall, dass sich die Querdenken-Bewegung als „weder rechts noch links“ bezeichnet und dass sie sich als unpolitisch inszeniert und sämtliche Parteien bzw. das gesamte Parteiensystem ablehnt. Was fälschlicherweise gerne als leere Floskel verstanden wird, ist viel mehr Ausdruck einer tief sitzenden Vorstellung über die Gesellschaft. Schon vor mehr als hundert Jahren brachte Kaiser Wilhelm II jene Vorstellung auf den Punkt, als er sagte: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“.

Die Vorstellung ist so absurd wie weit verbreitet: Sie geht davon aus, dass jedes „Volk“ nicht nur eine eigene Identität, sondern auch gemeinsame Werte und ähnliche politische Vorstellungen teilt. Wenn jene Kreise „Wir sind das Volk“ rufend durch die Straße ziehen, dann gehen sie tatsächlich davon aus, die Gesamtheit des „deutschen Volkes“ zu vertreten. In ihrer Vorstellung ist kein Platz für Pluralität. AbweichlerInnen werden als fremdgesteuert, bezahlt oder indokriniert angesehen und nicht als frei entscheidende Personen. PolitikerInnen gelten schnell als Volksverräter und nicht dem Volk zugehörig; alleine schon aufgrund der Tatsache, dass das Aushandeln von Kompromissen einer als natürlich empfundenen Gemeinschaft entgegen stünde. Dass es in einer Gesellschaft tatsächlich grundlegend unterschiedliche Auffassungen zu verschiedenen Themen geben kann, entspricht nicht den Fantasien einer geschlossenen Volksgemeinschaft. Und die Tatsache, dass es eben doch der Fall ist, wird gerne damit erklärt, die Elite würde durch eine „Teile und herrsche“-Politik bewusst einen Keil in die Gesellschaft treiben, um den sonst drohenden Volkszorn im Keim zu ersticken.

Daher verwundert es auch nicht, dass gerade bei den Krefelder „Querdenkern“ der Vorwurf des „Spalters“ am schwersten wiegt. Wird eine antisemitische Äußerung kritisiert, diskutiert man nicht etwa über Antisemitismus, sondern darüber, ob jene Kritik dazu gedacht war, Unruhe zu stiften und die friedliche Gemeinschaft zu stören. Es gibt keinen Platz für Diskussionen oder kritische Nachfragen, sofern sie dazu führen könnten, dass dies für Meinungsverschiedenheiten und eine Polarisation sorgt. Und erst recht kommt es in keinem Fall zu einer Distanzierung.

Die Volksgemeinschaft ist schließlich des Deutschens höchstes Gut. Wie schnell eine solche Weltsicht zu Vernichtungswünschen gegenüber solchen führt, die der Volksgemeinschaft als nicht zugehörig oder gar als zersetzend angesehen werden, sollte offensichtlich sein. Jene Gefahr erkannte schon Kurt Tucholsky, als er sagte „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.“

„Wenn der Jude nicht existierte,
würde der Antisemit ihn erfinden.“ (Jean-Paul Sartre)

Als Antisemitismus kann nicht nur die offene Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden bezeichnet werden, sondern vielmehr eine bestimmte Art zu denken. In der antisemitischen Fantasie kann prinzipiell jeder die Funktion des Juden einnehmen. Denn der Antisemitismus speist sich nicht aus dem realen jüdischen Verhalten, sondern aus dem Gerücht über die Juden. Die Geschichte der Juden dient als Transparenzfolie, wird aber willkürlich entstellt. Als Jude können daher auch Menschen oder Eigenschaften deklariert werden, die es real nicht einmal gibt. Der Antisemit konstruiert sich den Juden so, wie es seinen Bedürfnissen entspricht. Und was immer der Jude tut, er kann das Vorurteil nur bestätigen. Jegliches Verhalten wird als eigentlicher Beweis in die eigene Wahnvorstellung eingearbeitet. Denn die Antisemitinnen und Antisemiten passen die Wirklichkeit dem eigenen Wahn an, statt umgekehrt. Antisemitismus kann daher nur dechiffriert werden, wenn man den Antisemiten selbst analysiert, wie es Samuel Salzborn treffend ausdrückte.

Und dabei wird deutlich: Jüdinnen und Juden dienen den Antisemiten als Mittel, das Abstrakte des Kapitalismus greifbar zu machen, zu konkretisieren und damit als reales Feindbild angreifbar zu machen. Der Jude steht stellvertretend für jene Werte, die man ihm zuspricht und die der Antisemit verachtet: Aufklärung, Urbanität, Mobilität, Universalismus, Intellektualität, Sozialismus. Nicht zufällig beziehen sich die Antisemitinnen und Antisemiten positiv auf die dem angeblichen“jüdischen“ konträr entgegenstehenden Werte: Tradition, „ehrliche“ Arbeit, Volksgemeinschaft, Verwurzelung, Nationalismus.

Diese Erkenntnis bedeutet allerdings nicht, dass Jüdinnen und Juden rein zufällig ausgewählt wurden und der Antisemitismus willkürlich auf jede beliebige Bevölkerungsgruppe übertragen werden kann. Es ist historisch und ideologisch eindeutig, dass sich die antisemitische Praxis und Theorie stets gegen Jüdinnen und Juden richtete und richtet. Spätestens dann, wenn die AntisemitInnen die Möglichkeiten dazu besitzt und keine gesellschaftlichen Tabus sie davon abhalten.

„… dass sie nämlich in gewisser Weise die Katastophe wollen, dass sie von Weltuntergangsphantasien sich nähren.“ (Theodor W. Adorno)

Nicht erst mit den Aufrufen zur Großdemonstration am Samstag in Berlin wurde klar, was von dem friedlichen Selbstverständnis der Querdenken-Bewegung zu halten ist. In den Krefelder Telegramgruppen wurde der Demonstrationstag voller Vorfreude zu einem „Endspiel“, einer neuen „Varusschlacht“ oder einem zweiten „Maydan“ hochstilisiert. Insbesondere das zwischenzeitige Verbot der Demonstration sorgte für regelrechte Enthusiasmuswellen. Mit Parolen wie „Volk stehe auf und Sturm brich los“ wurde zum großen Umsturz und zum „Sturm auf Berlin“ mobilisiert. Endlich gebe es die lang ersehnte Möglichkeit, den „Sack zu zu machen“ und das „System zu kippen“.

Es ist ein ganz zentraler Aspekt faschistischer Ideologie, dass der Ausnahmezustand, die soziale Katastrophe herbeigesehent wird. Nicht nur aufgrund der erhofften Ergebnisse, sondern als Happening an sich. Es ist der Wunsch, dass endlich etwas passiert. Dass man Teil eines geschichtlichen Ereignisses wird, was durchaus religiöse Züge anzunehmen scheint. Dass man heldenhaft in den Krieg zieht. Selbst dann, wenn man dazu tagelang in einem Zeltlager in Berlin übernachten müsse, wie es ein Krefelder Demoteilnehmer plante. Ein anderer Krefelder wusste zu ergänzen: „Feiglinge schreiben keine Geschichte. Nur die Mutigen.“

Auch für Umberto Eco zählte die „Glorifizierung des Kampfes zum sinnstiftenden Element“ zu einem der zentralen Aspekte des Ur-Faschismus. Schon bei der ersten Großdemo in Berlin am 1.8. ließ sich jene Tendenz erkennen. Zugegeben: Die für den Faschismus wichtigen Eigenschaften wie Disziplin, Uniformierung oder Bellizismus spielten zumindest in der offensichtlichen Außendarstellung keine entscheidende Rolle. Doch die fast ausschließliche Fokussierung auf „das tolle Gefühl“, das man bei der Demonstration erlebte, die in der Luft liegende Energie, die Mobilisierung oder die Vorstellung, das Volk würde endlich aufwachen, machte deutlich, worum es den Demonstrierenden wirklich ging. Um Inhalte scheinbar nicht. Entsprechend verwundert es auch nicht, dass immer noch von exorbitanten Teilnehmendenzahlen gesprochen wird. Denn ohne diese würde das Happening nicht die Kraft haben, die man ihm beimisst. Und ohne diese Menschenmassen würde der ersehnte Umsturz, die gesellschaftliche Katastrophe eben doch nicht so sehr zum Greifen nahe sein.

Aber man muss nicht einmal auf die Großereignisse schauen, um eine gewisse Faszination für Weltuntergangs- und Katastrophenszenarien zu erkennen. Gewisserweise nährt sich die gesamte New World Order Verschwörungstheorie von der Vorstellung des Endes der Menschheit, wie wir sie kennen. Sei es das Chippen mit RFID-Chips, die bewusste Zerstörung der menschlichen Körper durch Impfungen, Medizin und 5G-Wellen oder die Befürchtung, eine „Elite“ arbeite an der gezielten Vernichtung des deutschen Volkes. Von den Weltuntergangsphantasien rund um einen bevorstehenden dritten Weltkrieg oder einen Endkampf zwischen den guten Kräften und den bösen Kabalen, die teils als Außerirdische beschrieben werden, ganz zu schweigen.

So grotesk dieser imaginierte Kampf gegen erfundenen Katastrophen auch ist, so sagt er doch eine ganze Menge über die insgeheimen Begierden derer aus, die sich auf die Fahne geschrieben haben, gegen diese Katastrophen kämpfen zu wollen.

Wie Leo Löwenthal in seinen Studien zum Autoritarismus festhielt: „Die Furcht wird zu einer Art Fantasiewelt – d.h. Angst wird in eine morbide, nihilistische Erwartung der totalen Vernichtung – nicht gar in Hoffnung darauf – verwandelt. Der faschistische Agitator vermischt wirkliche Gefahren mit der Vision tödlicher Angriffe auf die Menschheit, die von irdischen und kosmischen Kräften geplant zu sein scheinen. Durch die Anhäufung von erfundenen Schrecken auf wirkliche werden die Zuhörer intellektuell auf den Weg des geringsten Widerstands getrieben. Um die Gründe ihrer Frustration zu verstehen, müssen sie sich nicht länger mit so komplizierten Problemen wie Steuergesetzen, Gewerkschaften, Regierungsmaßnahmen, der Organisation des Kreditwesens etc. befassen. Alle diese Dinge, welche die Leute verwirren, werden auf einen gemeinsamen Nenner gebracht: sie sind nichts als verschiedene Aspekte einer in ihrem Grunde grausam eingerichteten Welt. Die Idee der Katastrophe enthält einen willkommenen Stimulus für den impulsiven Zerstörungstrieb der Zuhörer.“

„Rebellen ohne Grund“ (Michaela von Freyhold)

An dieser Stelle zitieren wir die Genossinnen und Genossen der antifaschistischen Gruppe Eklat Münster, die in ihrer Broschüre „Mobilisierbare Deutsche“ treffend beschrieben haben, was es mit der Pseudo-Auflehnung der Corona-Rebellen auf sich hat:

„Was „Hygienedemos“ & Co. vor allem zeigen, ist, dass nicht wenige für eine Mobilisierung offen sind: dass sie nur darauf gewartet haben oder sich schnell darin wiederfinden, sobald sie loslegt. Egal, worum es geht. Es ist die ganz klassische konformistische Revolte, die aus ihrem Gestus der Rebellion heraus lebt, mit dem sie die unbegriffene Ohnmacht des bürgerlichen Subjekts durch eine imaginierte Selbstermächtigung zu überwinden versucht – während sie die realen Gründe der Ohnmacht unangetastet und ungeklärt lässt und die realen gesellschaftlichen Verhältnisse konsequent verpasst.

So ist ein Teil der Parolen, die in diesem Zusammenhang in Umlauf gebracht werden, in ihrer Allgemeinheit und Unschärfe erst einmal kaum abzulehnen: Für Freiheit, für Rechte, gegen autoritäre Auswüchse, gegen den Faschismus. Diese Parolen sprechen auch viele an, die aus genauso vagen „guten Intentionen“ motiviert sind, jedoch keinerlei Begriffe, weder zur Bestimmung der gemeinten Emanzipation noch zur Kritik der Gesellschaft zur Verfügung haben. Ohne fundierten Wirklichkeitsbezug sagen diese Parolen nichts aus und werden zum Einfallstor für wahnhafte Vorstellungen und rechte Agitation.“

Dem können wir uns nur anschließen.
Rebellion? Na klar! Aber nicht so!

Maaßen not welcome

AUFRUF: Kommt zum Protest gegen den Besuch Hans-Georg Maaßens im Haus Kleinlosen in Krefeld!

Am Montag, den 17.2.2020 ist einiges los in Krefeld. Im Seidenweberhaus trifft sich die Krefelder AfD zu einem Bürgerdialog. Dagegen wurde bereits eine Kundgebungen angemeldet. Mobilisiert wird unter anderem von: Jusos, Ratsfraktion Die Linke, Die PARTEI, Grüne und CSD Krefeld. Gleichzeitig möchte Hans-Georg Maaßen auf Einladung der Werteunion Niederrhein im Haus Kleinlosen über die „Sicherheit unserer Demokratie“ sprechen. Natürlich wollen wir auch das nicht unwidersprochen über die Bühne gehen lassen.

So wichtig es ist, der AfD jeden öffentlichen Raum streitig zu machen, darf sich die antifaschistische Agitation nicht nur auf jene Akteurinnen und Akteure konzentrieren, die sich rechts von einer imaginierten Mitte bewegen. Denn es ist nicht die AfD, die Geflüchtete nach Afghanistan abschiebt, autoritäre Polizeigesetze durchdrückt, Menschen vor Europas Grenzen ersaufen lässt oder den NSU gedeckt, wenn nicht gar unterstützt hat. Es ist die sogenannte Mitte, die sich bei jeder halbherzigen bis blamablen Distanzierung von faschistischem und reaktionären Gedankengut dazu genötigt sieht, sich auch von Links zu distanzieren. Und was könnte symbolischer für diese „Mitte“ stehen als der Posten (fast hätten wir Pfosten geschrieben) des Verfassungsschutzpräsidenten? Sicherlich: Hans-Georg Maaßen steht selbst in der CDU am rechten Rand und bekommt mittlerweile auch parteiintern regelmäßig Kritik, doch seine politische Einstellung ist nicht neu. Mit eben jener politischen Einstellung wurde er 2012 zum Chef des Verfassungsschutzes ernannt. Und mit eben jeder politischen Einstellung trat er 1978 der CDU bei. Auch wenn wir uns am 17.2. ganz konkret gegen ihn und den rechten Flügel der CDU stellen – das Problem sitzt wesentlich tiefer.

Fahrt mit uns gemeinsam zum Haus Kleinlosen. Treffpunkt: HBF KR, 18:00 Uhr, ÖPNV

Im Anschluss an unseren Protest vor dem Haus Kleinlosen wollen wir gemeinsam zu den Protesten gegen den AfD-Bürgerdialog im Seidenweberhaus fahren.

denn sie wissen, was sie tun.

denn sie wissen, was sie tun - BroschüreText-Download als PDF

Diskussionsbeitrag über Faschismus und die Krefelder AfD

Im Mai 2014 – also wenige Monate nachdem Gruppen wie Pegida oder HoGeSa das Tageslicht erblickten – trat die Alternative für Deutschland zum ersten mal bei einer Kommunalwahl in Krefeld an und erhielt 4,3% der Stimmen. Mit 8,3% bei der Bundestagswahl 2017 und 7,8% bei der Europawahl 2019 konnte sich die Krefelder AfD in der Parteienlandschaft etablieren. Wenn wir heute auf die Agitation der vergangenen fünf Jahre zurückblicken, sehen wir zu allererst hunderte weinerliche Facebookbeiträge, aber auch diverse kleinere und größere Veranstaltungen, teilweise ohne Beachtung der Öffentlichkeit, teilweise mit nennenswertem Gegenprotest. Auch wir haben uns an diesem Gegenprotest beteiligt.

Was bisher geschah…

Am 28.9.2016 besuchte der Möchtegern-Malocher Guido Reil die AfD in der Gaststätte Hexagon im Seidenweberhaus. Etwa 30 Antifaschistinnen und Antifaschisten überraschten die anwesenden AfDler und AfDlerinnen mit einem spontanen Protest vor dem Eingang. Etwa ein halbes Jahr später – am 18.4.2017 – fanden sich nach vorheriger Mobilisierung bis zu 150 Personen aus dem antifaschistischen und bürgerlichen Spektrum zu einer Veranstaltung mit Beatrix von Storch in Oppum ein. Gemeinsam mit unseren Genossinnen und Genossen von Crème Critique nutzten wir diesen Protest, um die anstehenden Blockaden des AfD-Bundesparteitages in Köln zu bewerben.

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