M31 – heute vor 10 Jahren

Am 31. März 2012 fand in Frankfurt am Main eine Demonstration anlässlich des “Internationalen Tags gegen Kapitalismus” statt. Nachdem aus der Masse der mehreren tausend Teilnehmenden einige Gegenstände auf Gebäude und Polizeibeamtete flogen, kesselte die Polizei 450 Demonstrierende ein und hielt diese teils über zehn Stunden in Gewahrsam und behandelte sie in Polizeiwachen in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Offenbach erkennungsdienstlich. Einige Personen berichteten, dass sie sich dabei komplett haben entkleiden müssen.

Im Anschluss gründete die Polizei eine 25-köpfige Ermittlungsgruppe, wertete unter anderem Funkzellendaten aus und die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags ein. Außerdem wurden Aufenthaltsverbote für die zwei Monate später stattgefundene Blockupy-Demonstration verhängt und Anfang 2013 die Wohnungen von acht Fotografen durchsucht – was zurecht bundesweite Empörung auslöste.

Am 9. Dezember 2014 – also über 1 1/2 Jahre nach der Demonstration – fanden dann mehrere Hausdurchsuchungen in Krefeld statt, bei denen die Polizei diverse elektronische Gegenstände beschlagnahmte und nach gewissen Kleidungsstücken Ausschau hielt. Eine der Personen, die diese Tortur über sich ergehen lassen musste, war bei der M31-Demonstration nachweislich nicht einmal anwesend; alleine die Tatsache, dass sie mit einer anwesenden Person SMS-Kontakt hatte, genügte für einen Durchsuchungsbeschluss.

Bereits am 15. und 16. Juni 2014 hatte das Amtsgericht Frankfurt die Durchsuchungsbeschlüsse für die Krefelder Wohnungen unterschrieben. Durchgeführt wurden diese aber erst knapp sechs Monate später, also nur wenige Tage, bevor die Durchsuchungsbeschlüsse ihre Gültigkeit verloren hätten. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Polizei sich von den Durchsuchungen irgendwelche Erkenntnisse erhofft hatte. Tatendrang, Schikane und Einschüchterung wirken wie die naheliegenderen Motive.

Möglich machte dies der auch medial stark rezipierte Vorwurf, ein Kontaktbeamter der Polizei sei bei der Demonstration in Tötungsabsicht mit einer unbekannten chemischen Flüssigkeit verletzt worden. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dieser Flüssigkeit mutmaßlich um solches Pfefferspray handelte, das von der Polizei Literweise bei unzähligen Demonstrationen versprüht wird. Klar, dass dann der Vorwurf des versuchten Totschlags schnell zum Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung heruntergestuft wurde.

Übrigens: Der gesamte Polizeikessel wurde im Nachgang vom Gericht als rechtswidrig bewertet und die Frankfurter Polizei musste über 80.000 € Schadensgeld zahlen. Eine Entschädigung für die über fast zwei Jahre beschlagnahmten elektronischen Geräte gab es natürlich nicht.

No coffee with a cop

no coffee with a cop

Weil das Image der US-amerikanischen Polizei offensichtlich nicht das Beste ist, hat diese sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Coffee with a cop. Das heißt, Polizistinnen und Polizisten verschenken Kaffee an diejenigen, die schon immer mal mit der Polizei ins Gespräch kommen wollten. Soweit so langweilig. Jetzt ist aber auch das NRW-Innenministerium auf die Idee gekommen, dieses innovative Konzept zu adaptieren und schickt am 16. Dezember im Zuge einer Tournee durch das Nordrhein-westfälische Bundesland auch eine Delegation inklusive Kaffee-Truck nach Krefeld.

Promotet wird die Rundreise als Teil der Kampagne „NRW zeigt Respekt“. Obwohl die Polizei sich „in den Dienst der Gesellschaft“ stelle und „für Sicherheit“ sorge, würde sie „immer häufiger beschimpft und attackiert“. Entsprechend sei jetzt die Zeit, „gemeinsam ein Zeichen zu setzen“. Respekt wird also nicht von Seiten der Behörde gespendet, sondern eingefordert. Und sie wird ihn erhalten. Nämlich von jenen, die schon immer mal gemeinsam mit der Polizei darüber lästern wollten, dass alles immer schlimmer werde.

Der Punkt ist aber: Die Polizei stellt sich nicht „in den Dienst der Gesellschaft“, sondern in den Dienst einer Gesellschaftsordnung und ihrer besitzenden Klasse. Die Sicherung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und die Einschüchterung jener, die dagegen aufbegehren, ob aus Armut oder Empörung, waren ein Grund für ihre Entstehung und sind ein Grund für ihr Fortbestehen.

Entsprechend muss „Coffee with a cop“ in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden. Während die Polizei sich zunehmend militarisiert und beinahe wöchentlich durch neue rechte Chat-Gruppen, verstorbene Inhaftierte, Polizeigewalt und jämmerliche Auftritte des Politik-Darstellers Rainer Wendt in Erscheinung tritt, scheut sie keine Mühe, sich als das komplette Gegenteil darzustellen. Ihr Ziel: die scheinbare Entpolitisierung der Polizei, welche schon in dem dämlichen Nazi-Slogan „Freund und Helfer“ deutlich wurde. Die Polizei möchte mit all ihren pseudo-lustigen Tweets, ihren kostspieligen „auch Mensch“-Kampagnen und ihrem schier unübertreffbaren Selbstmitleid darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht etwa ein erweitertes Ordnungsamt, sondern eine Institution darstellt, die eben nicht für alle da ist.

Man kann sich daher bereits ausmalen, wer die Gelegenheit nutzen wird, mit den Polizistinnen und Polizisten gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Diejenigen, die sich vergewissern wollen, mit der Polizei gemeinsam auf einer Seite zu stehen. Auf der guten Seite, auf der die Polizistinnen und Polizisten den Menschen zuwinken und Scherzchen reißen. Auf der man sich noch aus alten Gymnasiumszeiten kennt. Auf der mal ein Auge zugedrückt wird und man sich in Ruhe alle Seiten anhört. Auf der man sich einredet, es nicht mit autoritären, uniformgeilen Charakteren, sondern Menschen mit einem ausgeprägten „Helfer-Syndrom“ zu tun zu haben. Auf der man eben nicht zu spüren bekommt, dass die Polizei eine politische Institution mit der Lizenz zur Gewalt ist. Auf der die Polizei nicht zur Gefahr für Leib und Leben wird. Auf der man nicht lernt, das Weite zu suchen, wenn die Bullen kommen. Auf der Menschen im Polizeigewahrsam nicht „ungeklärt“ ums Leben kommen. Auf der guten Seite eben – der Seite der gut betuchten.

Kaffee? Schmeckt besser ohne Bullen

36 Jahre Vermummungsverbot in Deutschland

Vermummungsverbot in Deutschland ... und was "agents provocateur" in krefeld damit zu tun hatten

25. Juni 1983:

Anlässlich einer Feier zu „300 Jahre Deutsche in Amerika“ reiste der damalige US-Vizepräsident George Bush nach Krefeld. Ebenfalls angereist waren auch etwa 1000 Autonome, die das Treffen offensiv angreifen wollten und sich mit den friedlichen Aktionen der als zu bürgerlich empfundenen Friedensbewegung nicht zufrieden geben wollten.

Schon vor der Demonstration kontrollierte die Polizei anreisende Fahrzeuge, alle Gepäckschließfächer im Bahnhof, observierte „einschlägig bekannte Objekte“ und stürmte eine Wohngemeinschaft, in der mehrere aus Hamburg angereiste Autonome übernachteten. Außerdem verhängte sie für den gesamten Innenstadtbereich ein fast zweiwöchiges Demonstrationsverbot und richtete eine eigene „Nachrichtensammel- und Informationsstelle“ ein.

Als die Demonstration wenige hundert Meter nach dem Start in die Breitestraße einbiegen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die an dem Tag stark vertreten war. Unterstützt wurde sie vom SEK, das durch sein brutales Eingreifen von sich Reden machte und die Demonstration auseinanderschlug. Rund 50 Demonstrantinnen und Demonstranten wurden verletzt, 134 festgenommen.

Für ein Nachspiel sorgte der Berliner V-Mann Peter Troeber. Troeber soll sich maßgeblich an den Ausschreitungen beteiligt haben und wurde vorübergebend festgenommen. Im Haftbefehl war sogar ausdrücklich die Rede davon, dass Troeber Steine auf anwesende Polizisten geworfen haben soll.

Trotz der Enttarnung des „Agent Provocateurs“ Troeber nutzte insbesondere die CDU die „Krefelder Krawalle“ als Anlass, das Demonstrationsrecht zu überarbeiten und Vermummung sowie Schutzbewaffnung zu verbieten. Das Gesetz trat am 28. Juni 1985 in Kraft.

Zwei Wochen nach der Demonstration wurde außerdem ein Nachbereitungstreffen in Wuppertal von der Polizei aufgelöst und die anwesenden 104 Personen festgenommen sowie erkennungsdienstlich behandelt.

Hausdurchsuchung in Krefeld

Am Montag, den 18. Januar 2021, kam es am Rande einer Querdenken-Demonstration in Krefeld zu einem Konflikt zwischen Polizeibeamteten und antifaschistischen Gegendemonstrierenden. Die Antifas warfen der Polizei vor, das verloren gegangene Handy eines Antifaschisten eingesteckt zu haben, was diese allerdings vehement abstritt. (Zu den mutmaßlichen Falschinfos und Ungereimtheiten der anschließenden polizeilichen Pressemitteilungen und dem offenbar immer noch nicht gelösten Sachverhalt an anderer Stelle mehr!)

Am Hauptbahnhof weigerte sich die Polizei, eine Anzeige wegen des verschwundenen Handys aufzunehmen und erteilte den aufgebrachten AntifaschistInnen stattdessen Platzverweise, die sie unter Anwendung von Schlagstöcken gewaltsam durchsetzte. Laut eines indymedia-Artikels wurden dabei mehrere AntifaschistInnen verletzt. In dieser aufgeheizten Situation soll ein Antifaschist sinngemäß gerufen haben: „Scheiß Hansawache. Die sollte man wegsprengen.“ Halb so wild, sollte man meinen.

Zwei Tage später fand bei dieser Person allerdings eine Hausdurchsuchung statt. Gesucht wurden „Bauteile, die dazu geeignet sind, das Wegsprengen der Polizeiwache Hansawache in Krefeld zu ermöglichen […]”, wie es im Beschluss steht. Dass Polizei und Staatsanwaltschaft nur aufgrund eines mutmaßlichen – offensichtlich im Affekt geäußerten – Zurufs ernsthafte Anschlagspläne unterstellen, erscheint selbst für die härtesten Law&Order-Agitatoren vollkommen absurd. Da auch sonst keine Hinweise auf einen geplanten Bombenanschlag vorzuliegen scheinen, muss man schlicht davon ausgehen, dass mit dieser Hausdurchsuchung der Antifaschist eingeschüchtert und das antifaschistische Engagement im Allgemeinen behindert werden sollte.

Wir sind wütend und möchten dem betroffenen Antifaschisten unsere vollste Solidarität aussprechen.

Kommentar bezüglich des Polizeigewalt-Videos aus Krefeld

Samstagnachmittag sind wir in einem öffentlichen Telegramkanal der Krefelder „Corona-Rebellen“ auf ein Anwohnervideo eines Polizeieinsatzes in der Hubertusstr. in Krefeld gestoßen, das mit der Erlaubnis zur Weiterverbreitung später in Coronaleugner-Kreisen geteilt wurde. Um diesen Kreisen keine Aufmerksamkeit zu geben, haben wir uns dazu entschlossen, das Video auch über unseren Twitter-Account zu teilen. Einerseits, um die im Video zu sehende Polizeigewalt zu dokumentieren, andererseits, um auf die Diskrepanz zwischen der polizeilichen Pressemitteilung und den Geschehnissen auf dem Video aufmerksam zu machen. Während die Polizei davon sprach, unmittelbaren Zwang gegen eine Person eingesetzt zu haben, um sie aus einer verrauchten Wohnung zu retten und in Sicherheit zu bringen, sah man auf dem Video, wie eine Polizistin mehrfach mit der Faust in das Gesicht des Opfers schlug.

Am Sonntag ging das entsprechende Video viral. Unser Video auf Twitter wurde bis zum Nachmittag mehr als 200.000 mal angesehen und ein paar Tausend mal geteilt; das Facebookvideo einer Coronaleugnerin wurde sogar mehr als 12.000 mal geteilt.

Nachmittags erreichte uns die Nachricht eines Krefelder Medienunternehmens, das behauptete, die alleinigen Nutzungsrechte an dem Video zu besitzen. Wir einigten uns darauf, unser Video zu löschen und auf die „offizielle“ Version zu verlinken, da wir dadurch keine Nachteile bezüglich der Verbreitung des Videos sahen. Ohnehin hatten wir zuvor intern über eine Löschung des Videos diskutiert, um die Persönlichkeitsrechte der von Polizeigewalt betroffenen Person zu schützen. Zwar kamen wir zu dem Entschluss, dass die niedrige Qualität und Auflösung des Videos bereits für eine ausreichende Anonymisierung aller Beteiligten sorgte, dennoch entschieden wir uns kurzerhand, das Video zu löschen. Rückblickend, halten wir diese Entscheidung leider für falsch. Denn:

Das Krefelder Medienunternehmen lud nicht etwa das Originalvideo hoch, sondern publizierte ein etwa vier-minütiges Video, in dem die Polizeigewalt nur einen minimalen Teil einnimmt. Vordergründig wird anhand eines Berichts einer Augenzeugin und eines Interviews mit der Leiterin der Pressestelle der Krefelder Polizei – Karin Kretzer – versucht, den Fokus auf das vorherige Verhalten des Opfers von Polizeigewalt zu lenken. Dabei schildert die Augenzeugin eine gänzlich andere Version der Ereignisse als die Polizei. Und während Frau Kretzer detailliert das angebliche voran gegangene Fehlverhalten des Opfers thematisiert, wischte sie den Vorwurf der Polizeigewalt mit den Worten ab, es sei wenig hilfreich, jetzt zu spekulieren, man müsse die Ermittlung abwarten und sowohl be- als auch entlastende Momente berücksichtigen. Abgesehen davon, dass die konkrete Bezugnahme auf die dokumentierten Faustschläge der Polizistin keineswegs „Spekulation“ sind, kommt jene relativierende und abwartende Kommunikation scheinbar nur Polizeibeamteten zugute. Angesichts der Tatsache, dass das publizierende Medienunternehmen eng mit der lokalen „Blaulicht“-Szene verknüpft ist, halten wir „Spekulationen“ über die Motivation des Videobeitrags für absolut angemessen.

In der Zwischenzeit haben auch wir mit mehreren Augenzeuginnen gesprochen. Die Schilderungen sind allerdings so different, dass sich für uns kein klares Bild ergeben hat, weshalb wir auf die Verbreitung von möglichen Details rund um den Einsatz verzichten.

Darüber hinaus lenkt eine Fokussierung auf die Vorgeschichte, unserer Ansicht nach, ohnehin vom eigentlichen Problem ab. Denn keine Situation rechtfertigt die auf dem Video dokumentierte Polizeigewalt. Dass sich die Krefelder Polizei um eine Verurteilung der Faustschläge drückt, macht darüber hinaus das zweite Problem deutlich: das Polizeiproblem.

Man kann davon ausgehen, dass die nach der Veröffentlichung des Videos eingeleitete Ermittlung gegen die Polizistin ohne Videobeweis niemals erfolgt wäre, was auch die beiden ersten polizeilichen Pressemitteilungen belegen. Scheinbar war die Polizeigewalt zuvor für keinen der eingesetzten Polizeibeamteten und/oder die Pressedienststelle zu beanstanden. Dass es öffentlichen Druck und stichfeste Beweise bedarf, um Polizeiübergriffe überhaupt rechtlich verfolgen zu können, ist bereits allseits bekannt. Die Polizei Krefeld hat dafür nun einen weiteren Hinweis geliefert. Wirklich perfide wird es allerdings, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung nach(!) Bekanntwerden des Videos schreiben: „Eine Beamtin wurde bei der Festnahme an der Hand verletzt. Sie blieb weiter dienstfähig.“ Wohlgemerkt, nachdem bereits in sieben Absätzen eine Gewaltbereitschaft des Opfers der Polizeigewalt thematisiert wurde. Wir halten diese Äußerung für so zynisch und abscheulich, dass wir uns einen weiteren Kommentar dazu sparen.

Damit hat die Krefelder Polizei im Nachgang abermals verdeutlicht, was bereits mit der Veröffentlichung des Videos unser Vorwurf war: Es gibt kein individuelles „PolizistInnenproblem“, sondern ein strukturelles „Polizeiproblem“.