Für etwas Besseres als Zurück zur Normalität

Eine linke Kritik an der aktuellen Corona-Politik, wie sie etwa durch die Kampagnen ZeroCovid oder NoCovid formuliert werden, bilden einen notwendigen Gegenpol einerseits zu dem faschistischen Aufbegehren der sogenannten „Querdenker“ und andererseits zum neoliberalen Kurs der Bundesregierung und der Länder. Was Corona-Verharmlosende und zahlreiche sich auf „die Wissenschaft“ berufende Gegenstimmen allerdings eint, ist: der Wunsch, schnellstmöglich zur „Normalität“ zurückzukehren.

Was aber ist eine Normalität wert, in der der Mensch den Verwertungsmechanismen ohnmächtig gegenübersteht, in der das „glückliche Bewusstsein“ ein zum Himmel schreiender Selbstbetrug ist und in der Vernunft nicht ohne die vorgestellte Ergänzung „instrumentell“ gedacht werden kann? In der wir den Antisemitismus der „Querdenker“ nicht als zufällige Begleiterscheinung, sondern als Personifizierung der abstrakten Herrschaft innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung vorfinden? In der jeder Akt zur Besserung, alles Anklagende und Widerständige systemkonform domestiziert wird und zur Stärkung des bestehenden Falschen beiträgt?

Wieso sehnen wir uns nach einer Normalität, in der die marxistische Forderung nach der Trennung von Freizeit und Arbeit kontinuierlich aufgelöst wird, etwa durch die Etablierung von Homeoffice oder die vorauseilende Aufopferung für unseren Job?
Wer die Rückkehr zur Normalität fordert, der fordert den Fortbestand eines postmodernen Kapitalismus, in dem die Auslöschung systemkritischer Stimmen längst besiegelt scheint. In dieser Normalität haben wir gelernt, unsere begründete Unzufriedenheit durch die selbstoptimierte Eingliederung in die herrschenden Verhältnisse zu besänftigen.

Nun wäre es fernab jeglicher Realität, die aktuelle Pandemie als möglichen Startschuss für ein neues linkes Aufbegehren begreifen zu wollen. Genau so falsch ist es allerdings, sich als staatspolitische Elendsverwalter anzubiedern!

Bei allen realpolitischen Forderungen dürfen wir das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Für uns muss klar sein: Der Schutz unseres Lebens darf bei Corona nicht halt machen. Wir müssen uns ebenso schützen vor der Gewalt der Verhältnisse, die wir verinnerlicht haben und weitertragen. Wir müssen uns schützen vor den aktuellen Katastrophen und denen, die sich bereits ankündigen. Fordern wir das, was nie weiter entfernt schien als heute: das Ende der Normalität.

Demoaufruf: Menschenleben vor Profite

Seit gut einem Jahr beherrscht die Corona-Pandemie unseren Alltag. Nahezu 80.000 Tote sind bereits allein in Deutschland zu beklagen und die Folgeschäden einer Infektion ebenfalls noch nicht abzusehen. Eine Pandemie, die in keiner Weise auf die leichte Schulter genommen werden darf und für uns alle eine Ausnahmesituation darstellt.

Zu Beginn der Pandemie ging es mit Flatten-the-Curve, also dem Abflachen der Infektionskurve, darum, die Intensivstationen in den Krankenhäusern vor Überlastung zu schützen und Zeit für weitreichendere Maßnahmen zum Infektionsschutz zu schaffen, um das Virus in den Griff zu bekommen. Das war wichtig und wurde von einer breiten Schicht von Bevölkerung und Politik mitgetragen.

Darauffolgend wurde sich allerdings selbstgefällig auf den niedrigen Infektionszahlen des letzten Sommers ausgeruht und gegen jedes bessere Wissen aus Wissenschaft und den Pandemie-Erfahrungen anderer Länder die Warnung vor weiteren Infektionswellen in den Wind geschossen. Nur, um diesen Zeitgewinn zu verspielen und unvorbereitet von der zweiten Welle getroffen zu werden. Seitdem hangeln wir uns von Teil-Lockdown zu Teil-Lockdown.

Auch in der dritten Coronawelle scheint man nichts dazugelernt zu haben. Die Hoffnungen, die Bevölkerung schnell durchzuimpfen, haben sich angesichts der fehlenden Initiative, genügend in die Impfstoffbeschaffung zu investieren, zerschlagen. Es hat sich gezeigt, dass eine allumfassende Strategie den besten Schutz bietet, die neben dem Impfschutz, Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln, vor allem eine Nachverfolgung der Infektionsketten unerlässlich macht und nur durch breites Testen und eine konsequente Quarantäne zu erreichen ist. Hiervon ist allerdings wenig zu sehen. Die Maßnahmen treffen immer noch hauptsächlich das Privatleben, aber auch kleine und mittlere Gewerbe, während Großunternehmen und bestimmte Wirtschaftszweige bis dato völlig aus der Verantwortung genommen werden. Immer noch wartet man vergeblich auf verpflichtenden Hygiene-, Test- und Meldestrategien für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Stattdessen soll das Privatleben durch Ausgangssperren weiter eingeschränkt werden, obwohl sich das Infektionsgeschehen größtenteils in Innenräumen abspielt. Wem ist es noch zu vermitteln, dass wir einerseits nach 21 Uhr das Haus zum Spazierengehen nicht verlassen dürfen, der Weg zur Arbeit davon aber ausgeschlossen ist? Dass wir uns weiterhin in volle Busse und Bahnen quetschen, um anschließend in den Fabriken, Lagerhallen und Büros Seite an Seite arbeiten zu müssen?
Ganz zu schweigen von fehlenden Entlastungen für Pflegekräfte, die durch diese Inkonsequenz und der seit Jahren laufenden Privatisierung und Demontage des Gesundheitssektors bereits seit Monaten die steigenden Infektionszahlen ausbaden müssen. Applaus und Anerkennung klingen zwar schön, verbessern aber nicht die katastrophalen Arbeitsbedingungen. Vor allem kosten sie nichts. Konzepte für Kindergärten, Schulen und Unis gehen bis jetzt über die Frage „Öffnen oder Schließen?“ und „Online- oder Präsenzunterricht?“ nicht hinaus.

Ebenso die schleppenden Coronahilfen, etwa für Studierende und Selbständige: Während beispielsweise der AStA mit privaten Spenden und einem Hilfsfonds die finanzielle Notlage vieler Studierender eindämmen muss, erhalten Großunternehmen wie die Lufthansa kaum an Bedingungen geknüpfte Finanzspritzen. Firmen wie Siemens, Daimler und die Telekom fahren, unter anderem Dank des aus den Sozialkassen finanzierten Kurzarbeitergeldes, hohe Gewinne ein und können trotz der Krise großzügig Dividenden an Auktionärinnen und Auktionäre verteilen. Wohnungslose und Geflüchtete, wie etwa auf Moria, werden komplett ihrem Schicksal überlassen. Auf eine globale Bekämpfung der Pandemie, unter anderem durch Aussetzen der Patente für weniger wohlhabende Länder und Ausbau oder Aneignung der Produktionsstätten für Impfstoffe darf man von einer auf Profitmaximierung ausgelegten Politik auch wenig hoffen.

Der Kurs der Regierung ist klar: Abwälzung der Verantwortung und Kosten der Pandemie auf die Allgemeinheit, die gesundheitlich und finanziell sowieso schon das größte Risiko trägt. Das zeigen bereits Rekordgewinne von DAX-Konzernen oder der enorme Vermögenszuwachs von Milliardärinnen und Milliardären. Währenddessen wird von wirtschaftsnahen Instituten bereits der Vorschlag unterbreitet, das Renteneinstiegsalter auf 69 Jahre zu erhöhen, um die Kosten der Pandemie aufzufangen. Von einer Beteiligung der Krisengewinnerinnen und -gewinner keine Spur.

Während sich die aktuelle Politik als alternativlos verkauft, inszenieren sich völlig weltfremde Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten „Querdenker“ als Opposition, haben allerdings nichts anzubieten, außer dem Verharmlosen oder gar Leugnen der Gefährlichkeit der Pandemie in Verbindung mit Verschwörungsideologien und einer rückständigen Naturromantik, die nur das Recht des Stärkeren kennt.

Der Dämmerzustand, in welchem wir uns seit nun über einem Jahr befinden, schadet mehr als er nutzt, fordert unnötig weitere Tote und hilft außer einigen wenigen auch nicht der Wirtschaft.

Daher rufen wir, ein Bündnis aus Parteien, Vereinen und politischen Gruppen, zur Demo „Menschenleben vor Profite – Solidarisch durch die Pandemie“ auf. Gemeinsam fordern wir eine solidarische Bewältigung dieser für uns alle schwierigen Zeit, die niemanden zurücklässt und den Schutz und die Absicherung der Bevölkerung sowohl gesundheitlich als auch finanziell in den Mittelpunkt stellt.

Beginn: Montag, 26. April – 18:30 Uhr
Krefeld, Karlsplatz (vor dem Kaiser Wilhelm Museum)

Bitte tragt FFP2-Masken und haltet euch an die Abstandsregeln
Corona-Leugner und „Querdenken“-Anhängerinnen sind nicht willkommen.

Der Aufruf ist unterzeichnet von:
Anarchistische Gruppe Krefeld
antifa désaccord krefeld
AStA der Hochschule Niederrhein
Bündnis Krefeld für Toleranz und Demokratie
Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein
Die LINKE Kreisverband Krefeld & Ratsfraktion
FAU Krefeld
Flüchtlingsrat Krefeld
Grüne Jugend Krefeld
H5
Jusos Krefeld
Linksjugend [’solid] Krefeld
Omas gegen Rechts Krefeld & Kempen
Riot Racoons
Seebrücke Krefeld
Solidaritätshaus/DIDF-Krefeld
Vegan for Future
VVN-BdA Krefeld