Konsequent antifaschistisch

Meinungsbeitrag anlässlich der Demo gegen rechts in Krefeld

Liebe Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer,

wer hätte vor wenigen Wochen gedacht, dass deutschlandweit hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um gegen die AfD zu demonstrieren? Lange Zeit schien es, als wären die Umfragewerte von über 20% bereits zur Normalität geworden. Dass sich nun ein spektrenübergreifender Protest formiert – auch in Krefeld – gibt Hoffnung in aussichtslosen Zeiten. Danke dafür!

Gleichzeitig rufen die Proteste aber auch Verwunderung bei uns hervor, haben wir die Correctiv-Recherche, welche den Anlass für die aktuelle AfD-Kritik darstellt, doch fast als aufgewärmten kalten Kaffee wahrgenommen. Die Positionen der AfD und der Neuen Rechten – insbesondere bezüglich Abschiebungen – liegen seit Jahren offen. Anfangs noch halbwegs kaschiert, geben sich mittlerweile selbst der sich als konservativ-bürgerlich wahrnehmende AfD-Kreisverband Krefeld und der NRW-Landesverband kaum noch die Mühe, daraus einen Hehl zu machen. Erst vor wenigen Monaten lud die AfD-Krefeld den ehemaligen NPD-Kader Bernd Kallina zu einem Vortrag ein. Antifaschistischer Protest sorgte allerdings dafür, dass die Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Publikation „(extrem) rechte Strukturen in Krefeld“ kommt nach der detaillierten Betrachtung des Krefelder AfD-Kreisverbandes zu folgender Bewertung: „Nicht nur hat die Krefelder AfD keine Berührungsängste mit offen extrem rechten Personen und Strömungen innerhalb der Partei, sie arbeitet sogar ganz konkret mit ihnen zusammen und bietet diesen eine Bühne.“

Die Verbindungen aller AfD-Landes- und Kreisverbände zu neonazistischen, rassistischen und nationalistischen Kreisen und Personen würde ganze Bücher füllen. In ihrer Gesamtheit ist die AfD das wichtigste Organ für den organisierten Faschismus in Deutschland. Das war sie lange vor der Correctiv-Recherche und wird es auch danach noch bleiben.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Gegen anti-emanzipatorische Angriffe ist der Status-Quo mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.
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Dennoch: Die etablierte Kritik an der AfD fällt in weiten Teilen hinter den möglichen Stand der Kritik zurück; was fehlt, ist nicht etwa ein Abarbeiten an Personen der AfD, nicht einmal an einzelnen Positionen, sondern eine theoretische Analyse, welche die Gesellschaft in den Blick nimmt, in der die AfD überhaupt gedeihen konnte. Viel ist von der „Lehre aus der Geschichte“ die Rede. Zuvorderst müsste diese aber beinhalten, was in der deutschen Erinnerungskultur, welche von einem Lobgesang auf „die Demokratie“ kaum zu unterscheiden ist, den wohl geringsten Stellenwert einnimmt: die Frage, wie in einer Gesellschaft, die durch Aufklärung, Moderne, Wissenschaft – „Zivilisation“ – geprägt wurde, die Lust nach dem Zivilisationsbruch gedeihen konnte und kann. Bei allen – teils unangebrachten – Vergleichen der AfD mit der NSDAP, wäre das die wohl zentralste Fragestellung, die von der NS-Zeit auf 2024 verweist.

Verkürzt gesagt: Die Moderne kann ihr Glücksersprechen nicht einlösen. Dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, wird von uns zwar gefühlt, aber nicht erkannt. Statt sich mit den Grundbedingungen des unmenschlichen Lebens (z. B. die Erziehung des Menschen zum Mittel zum Zweck im kapitalistischen Produktionsprozess) auseinanderzusetzen, also ein Verständnis für das eigene Unglück zu finden, neigen wir dazu, konkrete Feindbilder als Sündenbock zu suchen oder eine irrationale Ablehnung der Moderne zu entwickeln. In der psychosozialen Faschismusforschung spricht man vom „autoritären Charakter“ oder „konformistischer Rebellion“. Wollen wir die Ideale der Moderne retten, gilt es, ihre Widersprüchlichkeiten („Dialektik“) bewusst zu machen und das individuelle Leid als Resultat falscher Verhältnisse zu begreifen. Das schließt einerseits die abstrakte Ablehnung von Aufklärung und Moderne, andererseits ihre enthusiastische Lobpreisung aus. Nur durch die Verbesserung der Verhältnisse und eine selbstreflektierende Gesellschaftstheorie lässt sich greifen, wie und wo Faschismus gedeiht und weshalb seine Anfälligkeit besonders im „angepassten Bürgertum“ stark ausgeprägt ist.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Faschismus ist an seiner Wurzel zu bekämpfen. Diese liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft und ist maßgeblich durch die politische Ökonomie geprägt.
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Wann immer eine AfD-Position von einer anderen Partei übernommen wird, brüsten sich Politikerinnen und Politiker damit, der AfD WählerInnenstimmen abgenommen zu haben. Doch fragen wir uns: Was ist damit gewonnen? Das Problem an der AfD ist nicht die Partei selbst, sondern das, wofür sie steht.
Das Problem ist, dass so viele Menschen in Deutschland dem zustimmen. Und das tun sie – anders, als das die „etablierten Parteien“ wahrhaben wollen – nicht aus Verzweiflung, sondern aus einem inneren Antrieb heraus. Die Omnipräsenz der konformistischen Rebellion innerhalb der AfD-WählerInnenschaft ist nicht etwa ein Hinweis darauf, dass sich die diffuse „Unzufriedenheit“ durch eine angepasste Politik einhegen ließe, sie stellt vielmehr das Grundmerkmal des faschistischen Aufbäumens dar. Das erklärt auch, weshalb alle dahingehenden Versuche, so falsch sie bereits in der Theorie sind, in der Praxis keinerlei Effekt zeigen – schließlich wählt man lieber das Original. Weiter verkennt der Fokus auf die Partei AfD, dass an dem „Geheimtreffen“ eben nicht nur AfD-Politiker teilgenommen haben, sondern ebenso Mitglieder der CDU-nahen Werteunion.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Wir betrachten die AfD nicht nur als Partei, sondern vielmehr als Organisationsform einer politischen Bewegung.
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„Im großen Stil abschieben“ zitierte der Spiegel kürzlich Olaf Scholz. Ungewöhnlich klare Worte waren das, spricht man auf Regierungsebene doch in bester bürokratischer Manier viel lieber von „Rückführungsverbesserungsgesetz“ oder „sicheren Grenzen“. Welch ein Glück für Scholz und Co., könnte man höhnisch anmerken, dass sich im Sommer, als die neue GEAS-Reform verabschiedet wurde, kaum jemand für die Unmenschlichkeit von Abschiebungen interessierte. Ganz ohne „Geheimplan“, ganz ohne die AfD und ganz ohne Martin Sellner wird Europa seit vielen Jahren zur Festung hochgerüstet, inklusive tödlichen Pushbacks und Abschiebungen, Lagern, Mauern. Die ganz normale systemtragende Brutalität eben. Klar, GEAS und die kühnsten Träume eines „reinrassigen Deutschlands“ trennen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Unterschiede. Eine laute und breite Empörung über autoritäre Formierung, Abschaffung des Asylrechts und Abschottungspolitik wäre jedoch mehr als angebracht gewesen.

Es zwängt sich die Befürchtung auf, dass eine wesentliche Motivation für die derzeitigen Proteste eine Art „Verfassungspatriotismus“ ist. Nicht etwa wäre dann die treibende Kraft eine berechtige Empörung über aktuelle und zukünftige Unmenschlichkeiten, insbesondere da, wo am lautesten die Ideale der „Menschenrechte“ und des Humanismus hochgehalten werden, sondern die ideologische Identifizierung mit dem Status-Quo. Nicht scheint es um den Schutz von Menschen zu gehen, sondern um den Schutz von Institutionen.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Wir kämpfen nicht für den Schutz von Staat, Verfassung und Gesetz, sondern für ein menschenwürdiges Leben für Alle.
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Schließlich zeigt sich die Notwendigkeit, unsere moralische Empörung als Startpunkt für eine theoretisch-analytische und praktisch-politische Bewegung zu nutzen. Lasst uns nach dieser Demo nicht auf die Schulter klopfend auseinandergehen, weil wir auf der „richtigen Seite“ stehen. Lasst uns unsere Kritik an der AfD und ihren Ursachen schärfen. Lasst uns nicht nur gegen einen autoritären Rollback kämpfen, sondern ebenso für eine bessere Zukunft. Lasst uns selbstkritisch darüber diskutieren, wie die Grundbedingungen des Faschismus, nicht nur ihre Symptome, effektiv bekämpft werden können.


konsequent antifaschistisch.
für ein besseres morgen.

Kurzbericht #kr1301 – Keine AfD-Demo in Krefeld

Aus dem geplanten Demozug der AfD durch die Krefelder Innenstadt wurde dank des angekündigten Gegenprotests nichts. Die AfD musste sich mit einer Kundgebung vor dem Hauptbahnhof zufrieden geben. Den etwa 50-70 AfDlern – darunter auch mehrere Personen der Krefelder Querdenken-Szene (inklusive Initiator und Anmelder) – stellten sich 50 Antifaschistinnen und Antifaschisten entgegen. Obwohl die Polizei die Anmeldung spontaner Gegenkundgebungen untersagte und ankündigte, bei Parolen einzuschreiten, gelang es dem Gegenprotest, die AfD-Kundgebung zu umzingeln und lautstark zu stören.

Nach der Kundgebung kam es zu vereinzelten Konfrontationen mit AfD-Anhängern und der Polizei. Solltet Ihr Post bekommen, meldet Euch bei uns.

Krefeld bleibt damit auch im Januar 2023 weiterhin AfD-Demonstrations-frei.

Danke für Euer aller Erscheinen. Unsere Solidarität gegen ihren Nationalismus!

Kurzbericht #kr0705

Mit 140 Personen waren wir heute auf der Straße, um gegen den Wahlkampfabschluss der AfD NRW in Krefeld zu protestieren. Unsere Demonstration zog vom Hauptbahnhof über die Einkaufsstraße zum Rathausplatz, wo die AfD bereits ihre spärlich besuchten Stände aufgebaut hatte. Die folgenden zwei Stunden Redebeiträge wurden immer wieder durch den lauten Gegenprotest übertönt. Lieben Dank an alle, die sich uns angeschlossen haben und so kurz vor der Landtagswahl noch einmal deutlich gemacht haben: Die AfD ist ganz sicher keine Alternative, sondern vielmehr das Gesicht der ganz „normalen“ Hässlichkeit.

Nicht vorenthalten möchten wir diese grandiose Analyse des Klimawandels aus der Rede des Krefelder AfD-Politikers Martin Vincentz:

„Aber schön, dass wir das mal in aller Deutlichkeit so sehen konnten, wo Ihr Euch da drüben [Gegenprotest] so schön vermummt bei diesem schönen Wetter aufstellt. Bei diesem schönen Wetter sich zu vermummen, da sind wir vielleicht beim nächsten Thema. Die Sonne scheint heute AfD-Blau vom Himmel, ein wunderschönes Zeichen. Ich denke, der ein oder andere von Euch [AfD-Publikum] wird extra nochmal durch die Gegend gedieselt sein, um den eigentlich angekündigten Regen zu verhindern. Und wenn man Euch dann als Klimaleugner bezeichnet, wer leugnet denn dann das Klima? Ihr heut in Sommerkleidung oder die, die voll vermummt hinter ihren Transparenten stehen und den Regen von oben erwarten?“

7. Mai: AfD NRW Wahlkampfabschluss crashen

Die AfD will „Deutschland. aber normal.“ Diese Forderung feiert die ganze Hässlichkeit des Bestehenden. Ressentimentschürende Konkurrenz, den gewaltsamen Ausschluss der „Anderen“, Misogynie, Homophobie und Rassismus verklärt die AfD im parlamentarischen Spektrum am stärksten zum Idealzustand eines verloren geglaubten Gestern. Am 7. Mai feiert die selbsternannte Partei des kleinen Mannes, die diesem nichts anzubieten hat außer Heimatkitsch und Hassobjekte, ihren Wahlkampfabschluss auf dem Krefelder Rathausplatz. Ihr spießbürgerlicher Kampfbegriff speist sich aus der Liebe zum Status Quo und der Verachtung alles Abweichenden.

Ihr Ideal ist vielen die Hölle! Wir rufen daher dazu auf, ihnen dieses Fest der „Normalität“ zu vermiesen.

7. Mai 2022 – 10:00 Uhr
Hauptbahnhof Krefeld

M31 – heute vor 10 Jahren

Am 31. März 2012 fand in Frankfurt am Main eine Demonstration anlässlich des “Internationalen Tags gegen Kapitalismus” statt. Nachdem aus der Masse der mehreren tausend Teilnehmenden einige Gegenstände auf Gebäude und Polizeibeamtete flogen, kesselte die Polizei 450 Demonstrierende ein und hielt diese teils über zehn Stunden in Gewahrsam und behandelte sie in Polizeiwachen in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Offenbach erkennungsdienstlich. Einige Personen berichteten, dass sie sich dabei komplett haben entkleiden müssen.

Im Anschluss gründete die Polizei eine 25-köpfige Ermittlungsgruppe, wertete unter anderem Funkzellendaten aus und die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags ein. Außerdem wurden Aufenthaltsverbote für die zwei Monate später stattgefundene Blockupy-Demonstration verhängt und Anfang 2013 die Wohnungen von acht Fotografen durchsucht – was zurecht bundesweite Empörung auslöste.

Am 9. Dezember 2014 – also über 1 1/2 Jahre nach der Demonstration – fanden dann mehrere Hausdurchsuchungen in Krefeld statt, bei denen die Polizei diverse elektronische Gegenstände beschlagnahmte und nach gewissen Kleidungsstücken Ausschau hielt. Eine der Personen, die diese Tortur über sich ergehen lassen musste, war bei der M31-Demonstration nachweislich nicht einmal anwesend; alleine die Tatsache, dass sie mit einer anwesenden Person SMS-Kontakt hatte, genügte für einen Durchsuchungsbeschluss.

Bereits am 15. und 16. Juni 2014 hatte das Amtsgericht Frankfurt die Durchsuchungsbeschlüsse für die Krefelder Wohnungen unterschrieben. Durchgeführt wurden diese aber erst knapp sechs Monate später, also nur wenige Tage, bevor die Durchsuchungsbeschlüsse ihre Gültigkeit verloren hätten. Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Polizei sich von den Durchsuchungen irgendwelche Erkenntnisse erhofft hatte. Tatendrang, Schikane und Einschüchterung wirken wie die naheliegenderen Motive.

Möglich machte dies der auch medial stark rezipierte Vorwurf, ein Kontaktbeamter der Polizei sei bei der Demonstration in Tötungsabsicht mit einer unbekannten chemischen Flüssigkeit verletzt worden. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dieser Flüssigkeit mutmaßlich um solches Pfefferspray handelte, das von der Polizei Literweise bei unzähligen Demonstrationen versprüht wird. Klar, dass dann der Vorwurf des versuchten Totschlags schnell zum Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung heruntergestuft wurde.

Übrigens: Der gesamte Polizeikessel wurde im Nachgang vom Gericht als rechtswidrig bewertet und die Frankfurter Polizei musste über 80.000 € Schadensgeld zahlen. Eine Entschädigung für die über fast zwei Jahre beschlagnahmten elektronischen Geräte gab es natürlich nicht.

36 Jahre Vermummungsverbot in Deutschland

Vermummungsverbot in Deutschland ... und was "agents provocateur" in krefeld damit zu tun hatten

25. Juni 1983:

Anlässlich einer Feier zu „300 Jahre Deutsche in Amerika“ reiste der damalige US-Vizepräsident George Bush nach Krefeld. Ebenfalls angereist waren auch etwa 1000 Autonome, die das Treffen offensiv angreifen wollten und sich mit den friedlichen Aktionen der als zu bürgerlich empfundenen Friedensbewegung nicht zufrieden geben wollten.

Schon vor der Demonstration kontrollierte die Polizei anreisende Fahrzeuge, alle Gepäckschließfächer im Bahnhof, observierte „einschlägig bekannte Objekte“ und stürmte eine Wohngemeinschaft, in der mehrere aus Hamburg angereiste Autonome übernachteten. Außerdem verhängte sie für den gesamten Innenstadtbereich ein fast zweiwöchiges Demonstrationsverbot und richtete eine eigene „Nachrichtensammel- und Informationsstelle“ ein.

Als die Demonstration wenige hundert Meter nach dem Start in die Breitestraße einbiegen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die an dem Tag stark vertreten war. Unterstützt wurde sie vom SEK, das durch sein brutales Eingreifen von sich Reden machte und die Demonstration auseinanderschlug. Rund 50 Demonstrantinnen und Demonstranten wurden verletzt, 134 festgenommen.

Für ein Nachspiel sorgte der Berliner V-Mann Peter Troeber. Troeber soll sich maßgeblich an den Ausschreitungen beteiligt haben und wurde vorübergebend festgenommen. Im Haftbefehl war sogar ausdrücklich die Rede davon, dass Troeber Steine auf anwesende Polizisten geworfen haben soll.

Trotz der Enttarnung des „Agent Provocateurs“ Troeber nutzte insbesondere die CDU die „Krefelder Krawalle“ als Anlass, das Demonstrationsrecht zu überarbeiten und Vermummung sowie Schutzbewaffnung zu verbieten. Das Gesetz trat am 28. Juni 1985 in Kraft.

Zwei Wochen nach der Demonstration wurde außerdem ein Nachbereitungstreffen in Wuppertal von der Polizei aufgelöst und die anwesenden 104 Personen festgenommen sowie erkennungsdienstlich behandelt.

Für etwas Besseres als Zurück zur Normalität

Eine linke Kritik an der aktuellen Corona-Politik, wie sie etwa durch die Kampagnen ZeroCovid oder NoCovid formuliert werden, bilden einen notwendigen Gegenpol einerseits zu dem faschistischen Aufbegehren der sogenannten „Querdenker“ und andererseits zum neoliberalen Kurs der Bundesregierung und der Länder. Was Corona-Verharmlosende und zahlreiche sich auf „die Wissenschaft“ berufende Gegenstimmen allerdings eint, ist: der Wunsch, schnellstmöglich zur „Normalität“ zurückzukehren.

Was aber ist eine Normalität wert, in der der Mensch den Verwertungsmechanismen ohnmächtig gegenübersteht, in der das „glückliche Bewusstsein“ ein zum Himmel schreiender Selbstbetrug ist und in der Vernunft nicht ohne die vorgestellte Ergänzung „instrumentell“ gedacht werden kann? In der wir den Antisemitismus der „Querdenker“ nicht als zufällige Begleiterscheinung, sondern als Personifizierung der abstrakten Herrschaft innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung vorfinden? In der jeder Akt zur Besserung, alles Anklagende und Widerständige systemkonform domestiziert wird und zur Stärkung des bestehenden Falschen beiträgt?

Wieso sehnen wir uns nach einer Normalität, in der die marxistische Forderung nach der Trennung von Freizeit und Arbeit kontinuierlich aufgelöst wird, etwa durch die Etablierung von Homeoffice oder die vorauseilende Aufopferung für unseren Job?
Wer die Rückkehr zur Normalität fordert, der fordert den Fortbestand eines postmodernen Kapitalismus, in dem die Auslöschung systemkritischer Stimmen längst besiegelt scheint. In dieser Normalität haben wir gelernt, unsere begründete Unzufriedenheit durch die selbstoptimierte Eingliederung in die herrschenden Verhältnisse zu besänftigen.

Nun wäre es fernab jeglicher Realität, die aktuelle Pandemie als möglichen Startschuss für ein neues linkes Aufbegehren begreifen zu wollen. Genau so falsch ist es allerdings, sich als staatspolitische Elendsverwalter anzubiedern!

Bei allen realpolitischen Forderungen dürfen wir das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Für uns muss klar sein: Der Schutz unseres Lebens darf bei Corona nicht halt machen. Wir müssen uns ebenso schützen vor der Gewalt der Verhältnisse, die wir verinnerlicht haben und weitertragen. Wir müssen uns schützen vor den aktuellen Katastrophen und denen, die sich bereits ankündigen. Fordern wir das, was nie weiter entfernt schien als heute: das Ende der Normalität.

Demoaufruf: Menschenleben vor Profite

Seit gut einem Jahr beherrscht die Corona-Pandemie unseren Alltag. Nahezu 80.000 Tote sind bereits allein in Deutschland zu beklagen und die Folgeschäden einer Infektion ebenfalls noch nicht abzusehen. Eine Pandemie, die in keiner Weise auf die leichte Schulter genommen werden darf und für uns alle eine Ausnahmesituation darstellt.

Zu Beginn der Pandemie ging es mit Flatten-the-Curve, also dem Abflachen der Infektionskurve, darum, die Intensivstationen in den Krankenhäusern vor Überlastung zu schützen und Zeit für weitreichendere Maßnahmen zum Infektionsschutz zu schaffen, um das Virus in den Griff zu bekommen. Das war wichtig und wurde von einer breiten Schicht von Bevölkerung und Politik mitgetragen.

Darauffolgend wurde sich allerdings selbstgefällig auf den niedrigen Infektionszahlen des letzten Sommers ausgeruht und gegen jedes bessere Wissen aus Wissenschaft und den Pandemie-Erfahrungen anderer Länder die Warnung vor weiteren Infektionswellen in den Wind geschossen. Nur, um diesen Zeitgewinn zu verspielen und unvorbereitet von der zweiten Welle getroffen zu werden. Seitdem hangeln wir uns von Teil-Lockdown zu Teil-Lockdown.

Auch in der dritten Coronawelle scheint man nichts dazugelernt zu haben. Die Hoffnungen, die Bevölkerung schnell durchzuimpfen, haben sich angesichts der fehlenden Initiative, genügend in die Impfstoffbeschaffung zu investieren, zerschlagen. Es hat sich gezeigt, dass eine allumfassende Strategie den besten Schutz bietet, die neben dem Impfschutz, Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln, vor allem eine Nachverfolgung der Infektionsketten unerlässlich macht und nur durch breites Testen und eine konsequente Quarantäne zu erreichen ist. Hiervon ist allerdings wenig zu sehen. Die Maßnahmen treffen immer noch hauptsächlich das Privatleben, aber auch kleine und mittlere Gewerbe, während Großunternehmen und bestimmte Wirtschaftszweige bis dato völlig aus der Verantwortung genommen werden. Immer noch wartet man vergeblich auf verpflichtenden Hygiene-, Test- und Meldestrategien für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Stattdessen soll das Privatleben durch Ausgangssperren weiter eingeschränkt werden, obwohl sich das Infektionsgeschehen größtenteils in Innenräumen abspielt. Wem ist es noch zu vermitteln, dass wir einerseits nach 21 Uhr das Haus zum Spazierengehen nicht verlassen dürfen, der Weg zur Arbeit davon aber ausgeschlossen ist? Dass wir uns weiterhin in volle Busse und Bahnen quetschen, um anschließend in den Fabriken, Lagerhallen und Büros Seite an Seite arbeiten zu müssen?
Ganz zu schweigen von fehlenden Entlastungen für Pflegekräfte, die durch diese Inkonsequenz und der seit Jahren laufenden Privatisierung und Demontage des Gesundheitssektors bereits seit Monaten die steigenden Infektionszahlen ausbaden müssen. Applaus und Anerkennung klingen zwar schön, verbessern aber nicht die katastrophalen Arbeitsbedingungen. Vor allem kosten sie nichts. Konzepte für Kindergärten, Schulen und Unis gehen bis jetzt über die Frage „Öffnen oder Schließen?“ und „Online- oder Präsenzunterricht?“ nicht hinaus.

Ebenso die schleppenden Coronahilfen, etwa für Studierende und Selbständige: Während beispielsweise der AStA mit privaten Spenden und einem Hilfsfonds die finanzielle Notlage vieler Studierender eindämmen muss, erhalten Großunternehmen wie die Lufthansa kaum an Bedingungen geknüpfte Finanzspritzen. Firmen wie Siemens, Daimler und die Telekom fahren, unter anderem Dank des aus den Sozialkassen finanzierten Kurzarbeitergeldes, hohe Gewinne ein und können trotz der Krise großzügig Dividenden an Auktionärinnen und Auktionäre verteilen. Wohnungslose und Geflüchtete, wie etwa auf Moria, werden komplett ihrem Schicksal überlassen. Auf eine globale Bekämpfung der Pandemie, unter anderem durch Aussetzen der Patente für weniger wohlhabende Länder und Ausbau oder Aneignung der Produktionsstätten für Impfstoffe darf man von einer auf Profitmaximierung ausgelegten Politik auch wenig hoffen.

Der Kurs der Regierung ist klar: Abwälzung der Verantwortung und Kosten der Pandemie auf die Allgemeinheit, die gesundheitlich und finanziell sowieso schon das größte Risiko trägt. Das zeigen bereits Rekordgewinne von DAX-Konzernen oder der enorme Vermögenszuwachs von Milliardärinnen und Milliardären. Währenddessen wird von wirtschaftsnahen Instituten bereits der Vorschlag unterbreitet, das Renteneinstiegsalter auf 69 Jahre zu erhöhen, um die Kosten der Pandemie aufzufangen. Von einer Beteiligung der Krisengewinnerinnen und -gewinner keine Spur.

Während sich die aktuelle Politik als alternativlos verkauft, inszenieren sich völlig weltfremde Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten „Querdenker“ als Opposition, haben allerdings nichts anzubieten, außer dem Verharmlosen oder gar Leugnen der Gefährlichkeit der Pandemie in Verbindung mit Verschwörungsideologien und einer rückständigen Naturromantik, die nur das Recht des Stärkeren kennt.

Der Dämmerzustand, in welchem wir uns seit nun über einem Jahr befinden, schadet mehr als er nutzt, fordert unnötig weitere Tote und hilft außer einigen wenigen auch nicht der Wirtschaft.

Daher rufen wir, ein Bündnis aus Parteien, Vereinen und politischen Gruppen, zur Demo „Menschenleben vor Profite – Solidarisch durch die Pandemie“ auf. Gemeinsam fordern wir eine solidarische Bewältigung dieser für uns alle schwierigen Zeit, die niemanden zurücklässt und den Schutz und die Absicherung der Bevölkerung sowohl gesundheitlich als auch finanziell in den Mittelpunkt stellt.

Beginn: Montag, 26. April – 18:30 Uhr
Krefeld, Karlsplatz (vor dem Kaiser Wilhelm Museum)

Bitte tragt FFP2-Masken und haltet euch an die Abstandsregeln
Corona-Leugner und „Querdenken“-Anhängerinnen sind nicht willkommen.

Der Aufruf ist unterzeichnet von:
Anarchistische Gruppe Krefeld
antifa désaccord krefeld
AStA der Hochschule Niederrhein
Bündnis Krefeld für Toleranz und Demokratie
Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein
Die LINKE Kreisverband Krefeld & Ratsfraktion
FAU Krefeld
Flüchtlingsrat Krefeld
Grüne Jugend Krefeld
H5
Jusos Krefeld
Linksjugend [’solid] Krefeld
Omas gegen Rechts Krefeld & Kempen
Riot Racoons
Seebrücke Krefeld
Solidaritätshaus/DIDF-Krefeld
Vegan for Future
VVN-BdA Krefeld

Anreise aus Krefeld zur Gegenveranstaltung in Düsseldorf

Gegen die Allianz aus „Querdenkern“, Neonazis und rechten Hooligans

Für nächsten Sonntag, den 6. Dezember, rufen verschiedene Querdenkengruppen zu einem „Festival“ gegen die „Masken-Lüge“ im Düsseldorfer Rheinpark Golzheim auf. Eingeladen wurde das Who-is-who der aktuellen verschwörungsideologischen Szene: Michael Ballweg, Ralf Ludwig, Samuel Eckert, Bodo Schiffmann, Marcel Wojna usw. Die Krefelder Querdenker wollen – so der Plan – sogar eine eigene Bühne betreiben.

Als wäre das nicht bereits Grund genug, die Kotztüten auszupacken, wittert nun auch das beinahe in Irrelevanz versunkene Hogesa-Spektrum Morgenluft und mobilisiert nach Düsseldorf. Der Plan, in Anlehnung an die Demonstration in Leipzig ein Comeback der „Hooligans gegen Salafisten“ auf die Beine zu stellen, wird unserer Einschätzung nach zwar weniger Wirklichkeit als vielmehr Wunschphantasie bleiben, doch es muss dennoch mit einer erheblichen Zahl an Neonazis und Hools gerechnet werden. Schließlich haben bereits Szenegrößen wie Hannes Ostendorf, Sänger der Rechtsrockband „Kategorie C“, ihr Erscheinen angekündigt.

Die Düsseldorfer Querdenker wiederum haben sich nach jenen Aufrufen von den gewaltbereiten Hooligans distanziert – zumindest auf dem Papier. Doch wir wissen alle, wie ernst diese Distanzierungen zu nehmen sind. Demonstrationen in Berlin und Leipzig haben das Potential einer Querfront aus vermummten Fascho-Hools, tanzenden Hippies und „besorgten Bürgern“ bewiesen und die Gefährlichkeit einer solchen vor Augen geführt.

Bestreiten möchten wir an dieser Stelle allerdings die viel geäußerte Einschätzung, die Querdenken-Bewegung würde nach und nach von Rechten unterwandert werden. Bereits bei unseren Gegenveranstaltungen in Krefeld haben wir auf den antisemitischen und faschistischen Kern der gesamten Bewegung hingewiesen und den inhärenten Wunsch nach einem gewaltvollen Umsturz benannt. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich dies auch auf der Straße zeigen würde. Bunte Herzchen-Luftballons neben bewaffneten Nazigruppen stellen KEINEN Widerspruch dar.

Um sich diesem Treiben entgegen zu stellen, rufen wir dazu auf, die antifaschistischen Gegenaktivitäten zu unterstützen. Lasst uns der neuen Allianz den Wind aus den Segeln nehmen und ihnen gehörig den Tag vermiesen.

ANREISE AUS KREFELD ZUR GEGENVERANSTALTUNG IN DÜSSELDORF
SO, 6.12. 11:45 KREFELD HBF

Warum musste Amad A. sterben?

Warum musste Amad A. sterben? Aufklärung jetzt!
Warum musste Amad A. sterben? Aufklärung jetzt!

Die heutige Demonstration in Krefeld unter dem Motto „Rassismus tötet“ war mit 250-300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut besucht. Im Namen der „Initiative Amad Ahmad“ haben wir mittels Flugblättern auf den Fall Amad A. aufmerksam gemacht. Der entsprechende Text wurde darüber hinaus von der DIDF Jugend Krefeld als Redebeitrag gehalten:

„Im September 2018 verstarb der aus Syrien geflüchtete Kurde Amad Ahmad infolge eines Brandes in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Kleve. Der offizielle Bericht sprach zweifelsfrei von einem Suizid. Doch Recherchen von Monitor, Panorama 3 und einem parlamentarischen Untersuchungsausschluss kamen zu der Schlussfolgerung, dass es erhebliche Unstimmigkeiten in der offiziellen Version gab, diese teilweise sogar nachweisliche Falschbehauptungen enthielt. So wurde bewusst verschwiegen, dass Amad die Gegensprechanlage betätigte, lautstark um Hilfe rief und durch das Treten gegen die Zellentür auf sich aufmerksam machen wollte. Ein unabhängiges Brandgutachten stellte darüber hinaus fest, dass der zeitliche Ablauf wie dargestellt überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Aber die Unstimmigkeiten fingen schon früher an:

Festgenommen wurde der damals 26-jährige Amad am 6. Juli 2018 an einem Badesee in Geldern aufgrund einer angezeigten Belästigung. Die Beamten hätten Amad Ahmad laut eigener Aussage beim Personalienabgleich mit einem in Hamburg gesuchten Malier verwechselt. Das wirkt allerdings unglaubwürdig, weil die beiden Personen optisch kaum zu verwechseln sind. Aber mehr noch: Der angegebene Grund für die Verwechslung, ein Alias-Name, der angeblich von beiden Personen benutzt wurde, war erfunden. Ein entsprechender Datenbankeintrag wurde erst nach(!) der Verhaftung Amads bearbeitet bzw. manipuliert, wie spätere Recherchen zeigten. Amad saß also etwa drei Monate unschuldig in der JVA Geldern und später in der Justizvollzugsanstalt Kleve.

Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen bereits Ende 2019 ein. Zuvor hatten sich verschiedene beteiligte Behörden gegenseitig die Schuld in die Schuhe geschoben. Auch die Krefelder Polizei spielte bei der Frage um die Datensätze eine Rolle. Zwei Tage vor der Verhaftung Amads hatte sie Amad erkennungsdienstlich behandelt und später die Datenbank angepasst.

Die Initiative Amad Ahmad (Facebook-Link) möchte sich mit all dem nicht zufrieden geben. Wie kann es sein, dass Amad über so lange Zeit unschuldig in Haft saß? Wie kann es sein, dass die genauen Umstände des Brandes vertuscht wurden? Wie kann es sein, dass die beteiligten Behörden durch Lügen, Verheimlichen und Manipulation auffielen und wie kann es sein, dass sie damit sogar durchkommen?“