Konsequent antifaschistisch

Meinungsbeitrag anlässlich der Demo gegen rechts in Krefeld

Liebe Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer,

wer hätte vor wenigen Wochen gedacht, dass deutschlandweit hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um gegen die AfD zu demonstrieren? Lange Zeit schien es, als wären die Umfragewerte von über 20% bereits zur Normalität geworden. Dass sich nun ein spektrenübergreifender Protest formiert – auch in Krefeld – gibt Hoffnung in aussichtslosen Zeiten. Danke dafür!

Gleichzeitig rufen die Proteste aber auch Verwunderung bei uns hervor, haben wir die Correctiv-Recherche, welche den Anlass für die aktuelle AfD-Kritik darstellt, doch fast als aufgewärmten kalten Kaffee wahrgenommen. Die Positionen der AfD und der Neuen Rechten – insbesondere bezüglich Abschiebungen – liegen seit Jahren offen. Anfangs noch halbwegs kaschiert, geben sich mittlerweile selbst der sich als konservativ-bürgerlich wahrnehmende AfD-Kreisverband Krefeld und der NRW-Landesverband kaum noch die Mühe, daraus einen Hehl zu machen. Erst vor wenigen Monaten lud die AfD-Krefeld den ehemaligen NPD-Kader Bernd Kallina zu einem Vortrag ein. Antifaschistischer Protest sorgte allerdings dafür, dass die Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Publikation „(extrem) rechte Strukturen in Krefeld“ kommt nach der detaillierten Betrachtung des Krefelder AfD-Kreisverbandes zu folgender Bewertung: „Nicht nur hat die Krefelder AfD keine Berührungsängste mit offen extrem rechten Personen und Strömungen innerhalb der Partei, sie arbeitet sogar ganz konkret mit ihnen zusammen und bietet diesen eine Bühne.“

Die Verbindungen aller AfD-Landes- und Kreisverbände zu neonazistischen, rassistischen und nationalistischen Kreisen und Personen würde ganze Bücher füllen. In ihrer Gesamtheit ist die AfD das wichtigste Organ für den organisierten Faschismus in Deutschland. Das war sie lange vor der Correctiv-Recherche und wird es auch danach noch bleiben.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Gegen anti-emanzipatorische Angriffe ist der Status-Quo mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.
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Dennoch: Die etablierte Kritik an der AfD fällt in weiten Teilen hinter den möglichen Stand der Kritik zurück; was fehlt, ist nicht etwa ein Abarbeiten an Personen der AfD, nicht einmal an einzelnen Positionen, sondern eine theoretische Analyse, welche die Gesellschaft in den Blick nimmt, in der die AfD überhaupt gedeihen konnte. Viel ist von der „Lehre aus der Geschichte“ die Rede. Zuvorderst müsste diese aber beinhalten, was in der deutschen Erinnerungskultur, welche von einem Lobgesang auf „die Demokratie“ kaum zu unterscheiden ist, den wohl geringsten Stellenwert einnimmt: die Frage, wie in einer Gesellschaft, die durch Aufklärung, Moderne, Wissenschaft – „Zivilisation“ – geprägt wurde, die Lust nach dem Zivilisationsbruch gedeihen konnte und kann. Bei allen – teils unangebrachten – Vergleichen der AfD mit der NSDAP, wäre das die wohl zentralste Fragestellung, die von der NS-Zeit auf 2024 verweist.

Verkürzt gesagt: Die Moderne kann ihr Glücksersprechen nicht einlösen. Dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, wird von uns zwar gefühlt, aber nicht erkannt. Statt sich mit den Grundbedingungen des unmenschlichen Lebens (z. B. die Erziehung des Menschen zum Mittel zum Zweck im kapitalistischen Produktionsprozess) auseinanderzusetzen, also ein Verständnis für das eigene Unglück zu finden, neigen wir dazu, konkrete Feindbilder als Sündenbock zu suchen oder eine irrationale Ablehnung der Moderne zu entwickeln. In der psychosozialen Faschismusforschung spricht man vom „autoritären Charakter“ oder „konformistischer Rebellion“. Wollen wir die Ideale der Moderne retten, gilt es, ihre Widersprüchlichkeiten („Dialektik“) bewusst zu machen und das individuelle Leid als Resultat falscher Verhältnisse zu begreifen. Das schließt einerseits die abstrakte Ablehnung von Aufklärung und Moderne, andererseits ihre enthusiastische Lobpreisung aus. Nur durch die Verbesserung der Verhältnisse und eine selbstreflektierende Gesellschaftstheorie lässt sich greifen, wie und wo Faschismus gedeiht und weshalb seine Anfälligkeit besonders im „angepassten Bürgertum“ stark ausgeprägt ist.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Faschismus ist an seiner Wurzel zu bekämpfen. Diese liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft und ist maßgeblich durch die politische Ökonomie geprägt.
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Wann immer eine AfD-Position von einer anderen Partei übernommen wird, brüsten sich Politikerinnen und Politiker damit, der AfD WählerInnenstimmen abgenommen zu haben. Doch fragen wir uns: Was ist damit gewonnen? Das Problem an der AfD ist nicht die Partei selbst, sondern das, wofür sie steht.
Das Problem ist, dass so viele Menschen in Deutschland dem zustimmen. Und das tun sie – anders, als das die „etablierten Parteien“ wahrhaben wollen – nicht aus Verzweiflung, sondern aus einem inneren Antrieb heraus. Die Omnipräsenz der konformistischen Rebellion innerhalb der AfD-WählerInnenschaft ist nicht etwa ein Hinweis darauf, dass sich die diffuse „Unzufriedenheit“ durch eine angepasste Politik einhegen ließe, sie stellt vielmehr das Grundmerkmal des faschistischen Aufbäumens dar. Das erklärt auch, weshalb alle dahingehenden Versuche, so falsch sie bereits in der Theorie sind, in der Praxis keinerlei Effekt zeigen – schließlich wählt man lieber das Original. Weiter verkennt der Fokus auf die Partei AfD, dass an dem „Geheimtreffen“ eben nicht nur AfD-Politiker teilgenommen haben, sondern ebenso Mitglieder der CDU-nahen Werteunion.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Wir betrachten die AfD nicht nur als Partei, sondern vielmehr als Organisationsform einer politischen Bewegung.
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„Im großen Stil abschieben“ zitierte der Spiegel kürzlich Olaf Scholz. Ungewöhnlich klare Worte waren das, spricht man auf Regierungsebene doch in bester bürokratischer Manier viel lieber von „Rückführungsverbesserungsgesetz“ oder „sicheren Grenzen“. Welch ein Glück für Scholz und Co., könnte man höhnisch anmerken, dass sich im Sommer, als die neue GEAS-Reform verabschiedet wurde, kaum jemand für die Unmenschlichkeit von Abschiebungen interessierte. Ganz ohne „Geheimplan“, ganz ohne die AfD und ganz ohne Martin Sellner wird Europa seit vielen Jahren zur Festung hochgerüstet, inklusive tödlichen Pushbacks und Abschiebungen, Lagern, Mauern. Die ganz normale systemtragende Brutalität eben. Klar, GEAS und die kühnsten Träume eines „reinrassigen Deutschlands“ trennen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Unterschiede. Eine laute und breite Empörung über autoritäre Formierung, Abschaffung des Asylrechts und Abschottungspolitik wäre jedoch mehr als angebracht gewesen.

Es zwängt sich die Befürchtung auf, dass eine wesentliche Motivation für die derzeitigen Proteste eine Art „Verfassungspatriotismus“ ist. Nicht etwa wäre dann die treibende Kraft eine berechtige Empörung über aktuelle und zukünftige Unmenschlichkeiten, insbesondere da, wo am lautesten die Ideale der „Menschenrechte“ und des Humanismus hochgehalten werden, sondern die ideologische Identifizierung mit dem Status-Quo. Nicht scheint es um den Schutz von Menschen zu gehen, sondern um den Schutz von Institutionen.

konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Wir kämpfen nicht für den Schutz von Staat, Verfassung und Gesetz, sondern für ein menschenwürdiges Leben für Alle.
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Schließlich zeigt sich die Notwendigkeit, unsere moralische Empörung als Startpunkt für eine theoretisch-analytische und praktisch-politische Bewegung zu nutzen. Lasst uns nach dieser Demo nicht auf die Schulter klopfend auseinandergehen, weil wir auf der „richtigen Seite“ stehen. Lasst uns unsere Kritik an der AfD und ihren Ursachen schärfen. Lasst uns nicht nur gegen einen autoritären Rollback kämpfen, sondern ebenso für eine bessere Zukunft. Lasst uns selbstkritisch darüber diskutieren, wie die Grundbedingungen des Faschismus, nicht nur ihre Symptome, effektiv bekämpft werden können.


konsequent antifaschistisch.
für ein besseres morgen.

Broschüre „(extrem) rechte Strukturen in Krefeld 1945–2023“ erhältlich

Online (9€):

shop.vvn-bda.de

Vor Ort (Spende: 3–10€):

Krefeld:
Der Andere Buchladen: Dionysiusstraße 7, 47798 Krefeld
35blumen: Westwall 80B, 47798 Krefeld
AStA HSNR: Büro Krefeld West, Adlerstr. 35, 47798 Krefeld
H5 – Anarchistisches Freiraumprojekt: Hardenbergstraße 5, 47799 Krefeld
Tannenhöhe: Tannenstraße 147, 47798 Krefeld

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Syntopia: Gerokstr. 2, 47053 Duisburg

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Buchladen BiBaBuZe: Aachener Str. 1, 40223 Düsseldorf

Köln:
Jugendclub Courage: Sechzigstraße 73, 50733 Köln

Mönchengladbach:
Köntges: Waldhausener Str. 16, 41061 Mönchengladbach

Protest gegen „Querdenken“

Bei ziemlich beschissenem Wetter waren wir heute mit insgesamt 200 Personen auf dem Von-der-Leyen-Platz vor dem Krefelder Rathaus, um der zeitgleich stattgefundenen Querdenken-Demonstration etwas entgegen zu setzen. Deren Teilnehmenden waren auch wenig erfreut über unsere Anwesenheit und gerieten das ein oder andere mal ziemlich in Rage. Gut so.

Im Anschluss verfolgte die Polizei noch einige Antifas durch die Innenstadt und hielt diese von der Querdenken-Demo fern. Einzelne Personen wurden sogar bis zur eigenen Haustür eskortiert.

Hier dokumentieren wir unseren kurzen Redebeitrag auf der Kundgebung.

„Protest gegen „Querdenken““ weiterlesen

Kritik des Toleranz-Paradoxons von Karl Popper

Kritik des Toleranz-Paradoxons von Karl Popper

Kaum eine Kommentarspalte zur Extremismustheorie, in der nicht mit dem Verweis auf das Toleranzparadoxon des Philosophen Karl Popper versucht wird, eine Lanze für die politische Linke zu brechen. Der Zusammenhang scheint erst einmal nicht abwegig: Popper hielt in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ von 1945 fest, dass Unterdrückung und Gewalt dann gerechtfertigt sind, wenn sie sich gegen eine Intoleranz erster Ordnung richten, der mit einem rationalen Diskurs nicht beizukommen ist. Die damit beschriebene Intoleranz zweiter Ordnung ist notwendig, um die offene, tolerante Gesellschafts-einrichtung zu schützen.

Doch hier zeigt sich bereits, weshalb Poppers Ansatz nicht widerspruchsfrei adaptiert werden sollte – zumindest nicht von linksradikaler Seite. In „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ führt Popper aus, was er mit einer „offenen Gesellschaft“ meint und von wem er diese bedroht sieht; namentlich von Karl Marx und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, denen er Totalitarismus und Utopismus vorwirft. Der Tenor ist klar: Die (neo)liberale Demokratie muss gegen jede grundlegende Veränderung verteidigt werden. Im „Positivismusstreit“ wurde abermals deutlich: Poppers Rationalismus möchte über das bloße Beschreiben der Gesellschaft, das reine Bewahren nicht hinaus gehen und verurteilt jede grundlegende Gesellschaftskritik, in der mehr als nur einzelne Machtkonstellationen innerhalb des Status-Quo untersucht werden. Die konformistische Vorstellung, wir lebten bereits in einer Utopie oder eine Utopie wäre prinzipiell nicht möglich, verhindert das Infragestellen alltäglicher Gewaltmechanismen, globaler Ungleichheiten, ökonomischer Zwänge und psychosozialer Missstände. Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ kann somit gewissermaßen als tragender Teil der Totalitarismus-, Extremismus-, bzw. Hufeisentheorie verstanden werden.

Dabei wäre die Hufeisentheorie in etwas abgewandelter Weise (als Magnettheorie) eine gar nicht komplett verkehrte Reduktion der politischen Landschaft. Streben die beiden Enden nach Veränderung, hat es sich die – etwas undefinierte – „Mitte“ zur Aufgabe gemacht, das Bestehende zu verwalten. Die noch ausstehende Befreiung des Menschen kann erst durch eine Entfernung von dieser Anti-Politik der Mitte erfolgen.

Von rechter Seite wird die Intention formuliert, den Status-Quo grundlegend verändern zu wollen und eine moralische Kraft gegenüber einer rationalistischen Welt darzustellen; dieser Wunsch nach Transformation wäre die Gemeinsamkeit linker und rechter Agitation. Wesentlich entscheidender als diese (nur oberflächliche) Übereinstimmung ist jedoch der inhaltliche Unterschied. Die politische Rechte strebt nach (Rück)bindung in Form einer völkischen-rassistischen oder kulturellen Homogenität. Die erstrebte Transformation ist dabei entweder eine Rückkehr in längst überwunden geglaubter Verhältnisse (Rechts-konservativismus) oder legt einen falschen Fortschrittsgedanken (Faschismus) an den Tag, der mehr durch einen revolutionären Gestus statt revolutionäre Inhalte geprägt ist. Faschistinnen und Faschisten verstehen sich als Gegenpart zum bürgerlichen Überbau des Kapitalismus, ohne die ökonomischen Aspekte grundlegend in Frage zu stellen. Die extreme Rechte unterscheidet daher nicht zwischen bürgerlichen und kommunistischen Ideen; für sie sind beide Ursprung der Entwurzelung des Menschen.

Gegen diese falsche Ablehnung der Hufeisentheorie müsste eine fortschrittliche Linke festhalten, dass die ursprünglichen Ideale und Gehalte der Aufklärung – und damit der bürger-lichen Gesellschaft – die Voraussetzung für die Befreiung des Menschen darstellen. Es wäre stattdessen hinzuweisen auf den Widerspruch zwischen dem Gleichheitsanspruch der sogenannten Mitte und der realen Ungleichheit. Es wäre zu kritisieren, dass ein um jeden Preis zu verhindernder Rückschritt im allgegenwärtigen Konformismus bereits angelegt ist. Und es wäre – anknüpfend an die Ideen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – für eine Revitalisierung utopischen Denkens über das Bürgertums hinaus zu kämpfen. Symbolisch hieße das, die linke Seite des Magneten zu stärken und die rechte auszubremsen, womit die Magnet-Analogie bereits an ihre Grenze kommt. Aber wir sind ja auch keine Physiker, sondern Kommunistinnen.

Magnet-Theorie

Banner und Redebeiträge #kr3108

Redebeiträge als Video (Facebook-Link)

„Wird antisemitische Gesinnung laut, so fühlt sie sich als bürgerlich und aufsässig zugleich.“ (Max Horkheimer)

Es ist ein weit verbreiteter Trugschluss, dass die ökonomische Mitte mit der politischen Mitte zusammenfällt. Tatsächlich gedeiht der Faschismus gerade im Bürgertum; bzw. dort, wo das Bürgertum aufhört, bürgerlich zu sein. Eine Erkenntnis, die bereits bei Erscheinen der „Dialektik der Aufklärung“ 1944 nicht wirklich neu war. Die Idee, „gutwillige Bürger“, die sich die Begriffe „Demokratie“, „Frieden“ und „Liebe“ auf die Fahnen geschrieben haben, könnten nicht faschistisch oder antisemitisch sein, ist – auch historisch gesehen – vollkommen haltlos. Gerade die am stärksten an die Normen und Moralvorstellungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft Angepassten, hegen die stärksten Aggressionen gegen Unangepasste und Normverletzer, was sich in einer hohen Anfälligkeit für faschistische Ideologie niederschlägt.

Ihre bürgerliche Selbstidentifikation fängt schnell an zu bröckeln, wenn man gegen die „Berufspolitikerklasse“ ins Feld zieht, was sich auch in den Krefelder Telegramgruppen beobachten lässt: Staatskrebs. Bilderberger Schuldknechtschaft. Der Dreck muss weg. Elende Wesen. Dunkle Mächte. Freimaurer Volksverhöhnung. Oder die Entmenschlichung von PolitikerInnen.

Auch das Selbstbild als Kämpfer gegen eine angebliche Merkel- oder EU-Diktatur ist schnell als Farce entlarvt, wenn man einen Blick darauf wirft, wer für die bundesweiten und Krefelder „Querdenker“ als Vorbild gilt: Trump und Putin. Und nicht zu vergessen das auf Disziplin gefußte Deutsche Kaiserreich. Es sollte klar sein, dass jene Personen nicht auf die Straße gehen, um gegen eine Diktatur zu demonstrieren, sondern um eine zu errichten.

„Es gehört zu den Grundstücken der deutschen Ideologie, dass es keine Einzelgänger geben soll.“ (Theodor W. Adorno)

Es ist kein Zufall, dass sich die Querdenken-Bewegung als „weder rechts noch links“ bezeichnet und dass sie sich als unpolitisch inszeniert und sämtliche Parteien bzw. das gesamte Parteiensystem ablehnt. Was fälschlicherweise gerne als leere Floskel verstanden wird, ist viel mehr Ausdruck einer tief sitzenden Vorstellung über die Gesellschaft. Schon vor mehr als hundert Jahren brachte Kaiser Wilhelm II jene Vorstellung auf den Punkt, als er sagte: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“.

Die Vorstellung ist so absurd wie weit verbreitet: Sie geht davon aus, dass jedes „Volk“ nicht nur eine eigene Identität, sondern auch gemeinsame Werte und ähnliche politische Vorstellungen teilt. Wenn jene Kreise „Wir sind das Volk“ rufend durch die Straße ziehen, dann gehen sie tatsächlich davon aus, die Gesamtheit des „deutschen Volkes“ zu vertreten. In ihrer Vorstellung ist kein Platz für Pluralität. AbweichlerInnen werden als fremdgesteuert, bezahlt oder indokriniert angesehen und nicht als frei entscheidende Personen. PolitikerInnen gelten schnell als Volksverräter und nicht dem Volk zugehörig; alleine schon aufgrund der Tatsache, dass das Aushandeln von Kompromissen einer als natürlich empfundenen Gemeinschaft entgegen stünde. Dass es in einer Gesellschaft tatsächlich grundlegend unterschiedliche Auffassungen zu verschiedenen Themen geben kann, entspricht nicht den Fantasien einer geschlossenen Volksgemeinschaft. Und die Tatsache, dass es eben doch der Fall ist, wird gerne damit erklärt, die Elite würde durch eine „Teile und herrsche“-Politik bewusst einen Keil in die Gesellschaft treiben, um den sonst drohenden Volkszorn im Keim zu ersticken.

Daher verwundert es auch nicht, dass gerade bei den Krefelder „Querdenkern“ der Vorwurf des „Spalters“ am schwersten wiegt. Wird eine antisemitische Äußerung kritisiert, diskutiert man nicht etwa über Antisemitismus, sondern darüber, ob jene Kritik dazu gedacht war, Unruhe zu stiften und die friedliche Gemeinschaft zu stören. Es gibt keinen Platz für Diskussionen oder kritische Nachfragen, sofern sie dazu führen könnten, dass dies für Meinungsverschiedenheiten und eine Polarisation sorgt. Und erst recht kommt es in keinem Fall zu einer Distanzierung.

Die Volksgemeinschaft ist schließlich des Deutschens höchstes Gut. Wie schnell eine solche Weltsicht zu Vernichtungswünschen gegenüber solchen führt, die der Volksgemeinschaft als nicht zugehörig oder gar als zersetzend angesehen werden, sollte offensichtlich sein. Jene Gefahr erkannte schon Kurt Tucholsky, als er sagte „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.“

„Wenn der Jude nicht existierte,
würde der Antisemit ihn erfinden.“ (Jean-Paul Sartre)

Als Antisemitismus kann nicht nur die offene Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden bezeichnet werden, sondern vielmehr eine bestimmte Art zu denken. In der antisemitischen Fantasie kann prinzipiell jeder die Funktion des Juden einnehmen. Denn der Antisemitismus speist sich nicht aus dem realen jüdischen Verhalten, sondern aus dem Gerücht über die Juden. Die Geschichte der Juden dient als Transparenzfolie, wird aber willkürlich entstellt. Als Jude können daher auch Menschen oder Eigenschaften deklariert werden, die es real nicht einmal gibt. Der Antisemit konstruiert sich den Juden so, wie es seinen Bedürfnissen entspricht. Und was immer der Jude tut, er kann das Vorurteil nur bestätigen. Jegliches Verhalten wird als eigentlicher Beweis in die eigene Wahnvorstellung eingearbeitet. Denn die Antisemitinnen und Antisemiten passen die Wirklichkeit dem eigenen Wahn an, statt umgekehrt. Antisemitismus kann daher nur dechiffriert werden, wenn man den Antisemiten selbst analysiert, wie es Samuel Salzborn treffend ausdrückte.

Und dabei wird deutlich: Jüdinnen und Juden dienen den Antisemiten als Mittel, das Abstrakte des Kapitalismus greifbar zu machen, zu konkretisieren und damit als reales Feindbild angreifbar zu machen. Der Jude steht stellvertretend für jene Werte, die man ihm zuspricht und die der Antisemit verachtet: Aufklärung, Urbanität, Mobilität, Universalismus, Intellektualität, Sozialismus. Nicht zufällig beziehen sich die Antisemitinnen und Antisemiten positiv auf die dem angeblichen“jüdischen“ konträr entgegenstehenden Werte: Tradition, „ehrliche“ Arbeit, Volksgemeinschaft, Verwurzelung, Nationalismus.

Diese Erkenntnis bedeutet allerdings nicht, dass Jüdinnen und Juden rein zufällig ausgewählt wurden und der Antisemitismus willkürlich auf jede beliebige Bevölkerungsgruppe übertragen werden kann. Es ist historisch und ideologisch eindeutig, dass sich die antisemitische Praxis und Theorie stets gegen Jüdinnen und Juden richtete und richtet. Spätestens dann, wenn die AntisemitInnen die Möglichkeiten dazu besitzt und keine gesellschaftlichen Tabus sie davon abhalten.

„… dass sie nämlich in gewisser Weise die Katastophe wollen, dass sie von Weltuntergangsphantasien sich nähren.“ (Theodor W. Adorno)

Nicht erst mit den Aufrufen zur Großdemonstration am Samstag in Berlin wurde klar, was von dem friedlichen Selbstverständnis der Querdenken-Bewegung zu halten ist. In den Krefelder Telegramgruppen wurde der Demonstrationstag voller Vorfreude zu einem „Endspiel“, einer neuen „Varusschlacht“ oder einem zweiten „Maydan“ hochstilisiert. Insbesondere das zwischenzeitige Verbot der Demonstration sorgte für regelrechte Enthusiasmuswellen. Mit Parolen wie „Volk stehe auf und Sturm brich los“ wurde zum großen Umsturz und zum „Sturm auf Berlin“ mobilisiert. Endlich gebe es die lang ersehnte Möglichkeit, den „Sack zu zu machen“ und das „System zu kippen“.

Es ist ein ganz zentraler Aspekt faschistischer Ideologie, dass der Ausnahmezustand, die soziale Katastrophe herbeigesehent wird. Nicht nur aufgrund der erhofften Ergebnisse, sondern als Happening an sich. Es ist der Wunsch, dass endlich etwas passiert. Dass man Teil eines geschichtlichen Ereignisses wird, was durchaus religiöse Züge anzunehmen scheint. Dass man heldenhaft in den Krieg zieht. Selbst dann, wenn man dazu tagelang in einem Zeltlager in Berlin übernachten müsse, wie es ein Krefelder Demoteilnehmer plante. Ein anderer Krefelder wusste zu ergänzen: „Feiglinge schreiben keine Geschichte. Nur die Mutigen.“

Auch für Umberto Eco zählte die „Glorifizierung des Kampfes zum sinnstiftenden Element“ zu einem der zentralen Aspekte des Ur-Faschismus. Schon bei der ersten Großdemo in Berlin am 1.8. ließ sich jene Tendenz erkennen. Zugegeben: Die für den Faschismus wichtigen Eigenschaften wie Disziplin, Uniformierung oder Bellizismus spielten zumindest in der offensichtlichen Außendarstellung keine entscheidende Rolle. Doch die fast ausschließliche Fokussierung auf „das tolle Gefühl“, das man bei der Demonstration erlebte, die in der Luft liegende Energie, die Mobilisierung oder die Vorstellung, das Volk würde endlich aufwachen, machte deutlich, worum es den Demonstrierenden wirklich ging. Um Inhalte scheinbar nicht. Entsprechend verwundert es auch nicht, dass immer noch von exorbitanten Teilnehmendenzahlen gesprochen wird. Denn ohne diese würde das Happening nicht die Kraft haben, die man ihm beimisst. Und ohne diese Menschenmassen würde der ersehnte Umsturz, die gesellschaftliche Katastrophe eben doch nicht so sehr zum Greifen nahe sein.

Aber man muss nicht einmal auf die Großereignisse schauen, um eine gewisse Faszination für Weltuntergangs- und Katastrophenszenarien zu erkennen. Gewisserweise nährt sich die gesamte New World Order Verschwörungstheorie von der Vorstellung des Endes der Menschheit, wie wir sie kennen. Sei es das Chippen mit RFID-Chips, die bewusste Zerstörung der menschlichen Körper durch Impfungen, Medizin und 5G-Wellen oder die Befürchtung, eine „Elite“ arbeite an der gezielten Vernichtung des deutschen Volkes. Von den Weltuntergangsphantasien rund um einen bevorstehenden dritten Weltkrieg oder einen Endkampf zwischen den guten Kräften und den bösen Kabalen, die teils als Außerirdische beschrieben werden, ganz zu schweigen.

So grotesk dieser imaginierte Kampf gegen erfundenen Katastrophen auch ist, so sagt er doch eine ganze Menge über die insgeheimen Begierden derer aus, die sich auf die Fahne geschrieben haben, gegen diese Katastrophen kämpfen zu wollen.

Wie Leo Löwenthal in seinen Studien zum Autoritarismus festhielt: „Die Furcht wird zu einer Art Fantasiewelt – d.h. Angst wird in eine morbide, nihilistische Erwartung der totalen Vernichtung – nicht gar in Hoffnung darauf – verwandelt. Der faschistische Agitator vermischt wirkliche Gefahren mit der Vision tödlicher Angriffe auf die Menschheit, die von irdischen und kosmischen Kräften geplant zu sein scheinen. Durch die Anhäufung von erfundenen Schrecken auf wirkliche werden die Zuhörer intellektuell auf den Weg des geringsten Widerstands getrieben. Um die Gründe ihrer Frustration zu verstehen, müssen sie sich nicht länger mit so komplizierten Problemen wie Steuergesetzen, Gewerkschaften, Regierungsmaßnahmen, der Organisation des Kreditwesens etc. befassen. Alle diese Dinge, welche die Leute verwirren, werden auf einen gemeinsamen Nenner gebracht: sie sind nichts als verschiedene Aspekte einer in ihrem Grunde grausam eingerichteten Welt. Die Idee der Katastrophe enthält einen willkommenen Stimulus für den impulsiven Zerstörungstrieb der Zuhörer.“

„Rebellen ohne Grund“ (Michaela von Freyhold)

An dieser Stelle zitieren wir die Genossinnen und Genossen der antifaschistischen Gruppe Eklat Münster, die in ihrer Broschüre „Mobilisierbare Deutsche“ treffend beschrieben haben, was es mit der Pseudo-Auflehnung der Corona-Rebellen auf sich hat:

„Was „Hygienedemos“ & Co. vor allem zeigen, ist, dass nicht wenige für eine Mobilisierung offen sind: dass sie nur darauf gewartet haben oder sich schnell darin wiederfinden, sobald sie loslegt. Egal, worum es geht. Es ist die ganz klassische konformistische Revolte, die aus ihrem Gestus der Rebellion heraus lebt, mit dem sie die unbegriffene Ohnmacht des bürgerlichen Subjekts durch eine imaginierte Selbstermächtigung zu überwinden versucht – während sie die realen Gründe der Ohnmacht unangetastet und ungeklärt lässt und die realen gesellschaftlichen Verhältnisse konsequent verpasst.

So ist ein Teil der Parolen, die in diesem Zusammenhang in Umlauf gebracht werden, in ihrer Allgemeinheit und Unschärfe erst einmal kaum abzulehnen: Für Freiheit, für Rechte, gegen autoritäre Auswüchse, gegen den Faschismus. Diese Parolen sprechen auch viele an, die aus genauso vagen „guten Intentionen“ motiviert sind, jedoch keinerlei Begriffe, weder zur Bestimmung der gemeinten Emanzipation noch zur Kritik der Gesellschaft zur Verfügung haben. Ohne fundierten Wirklichkeitsbezug sagen diese Parolen nichts aus und werden zum Einfallstor für wahnhafte Vorstellungen und rechte Agitation.“

Dem können wir uns nur anschließen.
Rebellion? Na klar! Aber nicht so!

denn sie wissen, was sie tun.

denn sie wissen, was sie tun - BroschüreText-Download als PDF

Diskussionsbeitrag über Faschismus und die Krefelder AfD

Im Mai 2014 – also wenige Monate nachdem Gruppen wie Pegida oder HoGeSa das Tageslicht erblickten – trat die Alternative für Deutschland zum ersten mal bei einer Kommunalwahl in Krefeld an und erhielt 4,3% der Stimmen. Mit 8,3% bei der Bundestagswahl 2017 und 7,8% bei der Europawahl 2019 konnte sich die Krefelder AfD in der Parteienlandschaft etablieren. Wenn wir heute auf die Agitation der vergangenen fünf Jahre zurückblicken, sehen wir zu allererst hunderte weinerliche Facebookbeiträge, aber auch diverse kleinere und größere Veranstaltungen, teilweise ohne Beachtung der Öffentlichkeit, teilweise mit nennenswertem Gegenprotest. Auch wir haben uns an diesem Gegenprotest beteiligt.

Was bisher geschah…

Am 28.9.2016 besuchte der Möchtegern-Malocher Guido Reil die AfD in der Gaststätte Hexagon im Seidenweberhaus. Etwa 30 Antifaschistinnen und Antifaschisten überraschten die anwesenden AfDler und AfDlerinnen mit einem spontanen Protest vor dem Eingang. Etwa ein halbes Jahr später – am 18.4.2017 – fanden sich nach vorheriger Mobilisierung bis zu 150 Personen aus dem antifaschistischen und bürgerlichen Spektrum zu einer Veranstaltung mit Beatrix von Storch in Oppum ein. Gemeinsam mit unseren Genossinnen und Genossen von Crème Critique nutzten wir diesen Protest, um die anstehenden Blockaden des AfD-Bundesparteitages in Köln zu bewerben.

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