Kommentar bezüglich des Polizeigewalt-Videos aus Krefeld

Samstagnachmittag sind wir in einem öffentlichen Telegramkanal der Krefelder „Corona-Rebellen“ auf ein Anwohnervideo eines Polizeieinsatzes in der Hubertusstr. in Krefeld gestoßen, das mit der Erlaubnis zur Weiterverbreitung später in Coronaleugner-Kreisen geteilt wurde. Um diesen Kreisen keine Aufmerksamkeit zu geben, haben wir uns dazu entschlossen, das Video auch über unseren Twitter-Account zu teilen. Einerseits, um die im Video zu sehende Polizeigewalt zu dokumentieren, andererseits, um auf die Diskrepanz zwischen der polizeilichen Pressemitteilung und den Geschehnissen auf dem Video aufmerksam zu machen. Während die Polizei davon sprach, unmittelbaren Zwang gegen eine Person eingesetzt zu haben, um sie aus einer verrauchten Wohnung zu retten und in Sicherheit zu bringen, sah man auf dem Video, wie eine Polizistin mehrfach mit der Faust in das Gesicht des Opfers schlug.

Am Sonntag ging das entsprechende Video viral. Unser Video auf Twitter wurde bis zum Nachmittag mehr als 200.000 mal angesehen und ein paar Tausend mal geteilt; das Facebookvideo einer Coronaleugnerin wurde sogar mehr als 12.000 mal geteilt.

Nachmittags erreichte uns die Nachricht eines Krefelder Medienunternehmens, das behauptete, die alleinigen Nutzungsrechte an dem Video zu besitzen. Wir einigten uns darauf, unser Video zu löschen und auf die „offizielle“ Version zu verlinken, da wir dadurch keine Nachteile bezüglich der Verbreitung des Videos sahen. Ohnehin hatten wir zuvor intern über eine Löschung des Videos diskutiert, um die Persönlichkeitsrechte der von Polizeigewalt betroffenen Person zu schützen. Zwar kamen wir zu dem Entschluss, dass die niedrige Qualität und Auflösung des Videos bereits für eine ausreichende Anonymisierung aller Beteiligten sorgte, dennoch entschieden wir uns kurzerhand, das Video zu löschen. Rückblickend, halten wir diese Entscheidung leider für falsch. Denn:

Das Krefelder Medienunternehmen lud nicht etwa das Originalvideo hoch, sondern publizierte ein etwa vier-minütiges Video, in dem die Polizeigewalt nur einen minimalen Teil einnimmt. Vordergründig wird anhand eines Berichts einer Augenzeugin und eines Interviews mit der Leiterin der Pressestelle der Krefelder Polizei – Karin Kretzer – versucht, den Fokus auf das vorherige Verhalten des Opfers von Polizeigewalt zu lenken. Dabei schildert die Augenzeugin eine gänzlich andere Version der Ereignisse als die Polizei. Und während Frau Kretzer detailliert das angebliche voran gegangene Fehlverhalten des Opfers thematisiert, wischte sie den Vorwurf der Polizeigewalt mit den Worten ab, es sei wenig hilfreich, jetzt zu spekulieren, man müsse die Ermittlung abwarten und sowohl be- als auch entlastende Momente berücksichtigen. Abgesehen davon, dass die konkrete Bezugnahme auf die dokumentierten Faustschläge der Polizistin keineswegs „Spekulation“ sind, kommt jene relativierende und abwartende Kommunikation scheinbar nur Polizeibeamteten zugute. Angesichts der Tatsache, dass das publizierende Medienunternehmen eng mit der lokalen „Blaulicht“-Szene verknüpft ist, halten wir „Spekulationen“ über die Motivation des Videobeitrags für absolut angemessen.

In der Zwischenzeit haben auch wir mit mehreren Augenzeuginnen gesprochen. Die Schilderungen sind allerdings so different, dass sich für uns kein klares Bild ergeben hat, weshalb wir auf die Verbreitung von möglichen Details rund um den Einsatz verzichten.

Darüber hinaus lenkt eine Fokussierung auf die Vorgeschichte, unserer Ansicht nach, ohnehin vom eigentlichen Problem ab. Denn keine Situation rechtfertigt die auf dem Video dokumentierte Polizeigewalt. Dass sich die Krefelder Polizei um eine Verurteilung der Faustschläge drückt, macht darüber hinaus das zweite Problem deutlich: das Polizeiproblem.

Man kann davon ausgehen, dass die nach der Veröffentlichung des Videos eingeleitete Ermittlung gegen die Polizistin ohne Videobeweis niemals erfolgt wäre, was auch die beiden ersten polizeilichen Pressemitteilungen belegen. Scheinbar war die Polizeigewalt zuvor für keinen der eingesetzten Polizeibeamteten und/oder die Pressedienststelle zu beanstanden. Dass es öffentlichen Druck und stichfeste Beweise bedarf, um Polizeiübergriffe überhaupt rechtlich verfolgen zu können, ist bereits allseits bekannt. Die Polizei Krefeld hat dafür nun einen weiteren Hinweis geliefert. Wirklich perfide wird es allerdings, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung nach(!) Bekanntwerden des Videos schreiben: „Eine Beamtin wurde bei der Festnahme an der Hand verletzt. Sie blieb weiter dienstfähig.“ Wohlgemerkt, nachdem bereits in sieben Absätzen eine Gewaltbereitschaft des Opfers der Polizeigewalt thematisiert wurde. Wir halten diese Äußerung für so zynisch und abscheulich, dass wir uns einen weiteren Kommentar dazu sparen.

Damit hat die Krefelder Polizei im Nachgang abermals verdeutlicht, was bereits mit der Veröffentlichung des Videos unser Vorwurf war: Es gibt kein individuelles „PolizistInnenproblem“, sondern ein strukturelles „Polizeiproblem“.