No coffee with a cop

no coffee with a cop

Weil das Image der US-amerikanischen Polizei offensichtlich nicht das Beste ist, hat diese sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Coffee with a cop. Das heißt, Polizistinnen und Polizisten verschenken Kaffee an diejenigen, die schon immer mal mit der Polizei ins Gespräch kommen wollten. Soweit so langweilig. Jetzt ist aber auch das NRW-Innenministerium auf die Idee gekommen, dieses innovative Konzept zu adaptieren und schickt am 16. Dezember im Zuge einer Tournee durch das Nordrhein-westfälische Bundesland auch eine Delegation inklusive Kaffee-Truck nach Krefeld.

Promotet wird die Rundreise als Teil der Kampagne „NRW zeigt Respekt“. Obwohl die Polizei sich „in den Dienst der Gesellschaft“ stelle und „für Sicherheit“ sorge, würde sie „immer häufiger beschimpft und attackiert“. Entsprechend sei jetzt die Zeit, „gemeinsam ein Zeichen zu setzen“. Respekt wird also nicht von Seiten der Behörde gespendet, sondern eingefordert. Und sie wird ihn erhalten. Nämlich von jenen, die schon immer mal gemeinsam mit der Polizei darüber lästern wollten, dass alles immer schlimmer werde.

Der Punkt ist aber: Die Polizei stellt sich nicht „in den Dienst der Gesellschaft“, sondern in den Dienst einer Gesellschaftsordnung und ihrer besitzenden Klasse. Die Sicherung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und die Einschüchterung jener, die dagegen aufbegehren, ob aus Armut oder Empörung, waren ein Grund für ihre Entstehung und sind ein Grund für ihr Fortbestehen.

Entsprechend muss „Coffee with a cop“ in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden. Während die Polizei sich zunehmend militarisiert und beinahe wöchentlich durch neue rechte Chat-Gruppen, verstorbene Inhaftierte, Polizeigewalt und jämmerliche Auftritte des Politik-Darstellers Rainer Wendt in Erscheinung tritt, scheut sie keine Mühe, sich als das komplette Gegenteil darzustellen. Ihr Ziel: die scheinbare Entpolitisierung der Polizei, welche schon in dem dämlichen Nazi-Slogan „Freund und Helfer“ deutlich wurde. Die Polizei möchte mit all ihren pseudo-lustigen Tweets, ihren kostspieligen „auch Mensch“-Kampagnen und ihrem schier unübertreffbaren Selbstmitleid darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht etwa ein erweitertes Ordnungsamt, sondern eine Institution darstellt, die eben nicht für alle da ist.

Man kann sich daher bereits ausmalen, wer die Gelegenheit nutzen wird, mit den Polizistinnen und Polizisten gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Diejenigen, die sich vergewissern wollen, mit der Polizei gemeinsam auf einer Seite zu stehen. Auf der guten Seite, auf der die Polizistinnen und Polizisten den Menschen zuwinken und Scherzchen reißen. Auf der man sich noch aus alten Gymnasiumszeiten kennt. Auf der mal ein Auge zugedrückt wird und man sich in Ruhe alle Seiten anhört. Auf der man sich einredet, es nicht mit autoritären, uniformgeilen Charakteren, sondern Menschen mit einem ausgeprägten „Helfer-Syndrom“ zu tun zu haben. Auf der man eben nicht zu spüren bekommt, dass die Polizei eine politische Institution mit der Lizenz zur Gewalt ist. Auf der die Polizei nicht zur Gefahr für Leib und Leben wird. Auf der man nicht lernt, das Weite zu suchen, wenn die Bullen kommen. Auf der Menschen im Polizeigewahrsam nicht „ungeklärt“ ums Leben kommen. Auf der guten Seite eben – der Seite der gut betuchten.

Kaffee? Schmeckt besser ohne Bullen

Kritik des Toleranz-Paradoxons von Karl Popper

Kritik des Toleranz-Paradoxons von Karl Popper

Kaum eine Kommentarspalte zur Extremismustheorie, in der nicht mit dem Verweis auf das Toleranzparadoxon des Philosophen Karl Popper versucht wird, eine Lanze für die politische Linke zu brechen. Der Zusammenhang scheint erst einmal nicht abwegig: Popper hielt in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ von 1945 fest, dass Unterdrückung und Gewalt dann gerechtfertigt sind, wenn sie sich gegen eine Intoleranz erster Ordnung richten, der mit einem rationalen Diskurs nicht beizukommen ist. Die damit beschriebene Intoleranz zweiter Ordnung ist notwendig, um die offene, tolerante Gesellschafts-einrichtung zu schützen.

Doch hier zeigt sich bereits, weshalb Poppers Ansatz nicht widerspruchsfrei adaptiert werden sollte – zumindest nicht von linksradikaler Seite. In „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ führt Popper aus, was er mit einer „offenen Gesellschaft“ meint und von wem er diese bedroht sieht; namentlich von Karl Marx und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, denen er Totalitarismus und Utopismus vorwirft. Der Tenor ist klar: Die (neo)liberale Demokratie muss gegen jede grundlegende Veränderung verteidigt werden. Im „Positivismusstreit“ wurde abermals deutlich: Poppers Rationalismus möchte über das bloße Beschreiben der Gesellschaft, das reine Bewahren nicht hinaus gehen und verurteilt jede grundlegende Gesellschaftskritik, in der mehr als nur einzelne Machtkonstellationen innerhalb des Status-Quo untersucht werden. Die konformistische Vorstellung, wir lebten bereits in einer Utopie oder eine Utopie wäre prinzipiell nicht möglich, verhindert das Infragestellen alltäglicher Gewaltmechanismen, globaler Ungleichheiten, ökonomischer Zwänge und psychosozialer Missstände. Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ kann somit gewissermaßen als tragender Teil der Totalitarismus-, Extremismus-, bzw. Hufeisentheorie verstanden werden.

Dabei wäre die Hufeisentheorie in etwas abgewandelter Weise (als Magnettheorie) eine gar nicht komplett verkehrte Reduktion der politischen Landschaft. Streben die beiden Enden nach Veränderung, hat es sich die – etwas undefinierte – „Mitte“ zur Aufgabe gemacht, das Bestehende zu verwalten. Die noch ausstehende Befreiung des Menschen kann erst durch eine Entfernung von dieser Anti-Politik der Mitte erfolgen.

Von rechter Seite wird die Intention formuliert, den Status-Quo grundlegend verändern zu wollen und eine moralische Kraft gegenüber einer rationalistischen Welt darzustellen; dieser Wunsch nach Transformation wäre die Gemeinsamkeit linker und rechter Agitation. Wesentlich entscheidender als diese (nur oberflächliche) Übereinstimmung ist jedoch der inhaltliche Unterschied. Die politische Rechte strebt nach (Rück)bindung in Form einer völkischen-rassistischen oder kulturellen Homogenität. Die erstrebte Transformation ist dabei entweder eine Rückkehr in längst überwunden geglaubter Verhältnisse (Rechts-konservativismus) oder legt einen falschen Fortschrittsgedanken (Faschismus) an den Tag, der mehr durch einen revolutionären Gestus statt revolutionäre Inhalte geprägt ist. Faschistinnen und Faschisten verstehen sich als Gegenpart zum bürgerlichen Überbau des Kapitalismus, ohne die ökonomischen Aspekte grundlegend in Frage zu stellen. Die extreme Rechte unterscheidet daher nicht zwischen bürgerlichen und kommunistischen Ideen; für sie sind beide Ursprung der Entwurzelung des Menschen.

Gegen diese falsche Ablehnung der Hufeisentheorie müsste eine fortschrittliche Linke festhalten, dass die ursprünglichen Ideale und Gehalte der Aufklärung – und damit der bürger-lichen Gesellschaft – die Voraussetzung für die Befreiung des Menschen darstellen. Es wäre stattdessen hinzuweisen auf den Widerspruch zwischen dem Gleichheitsanspruch der sogenannten Mitte und der realen Ungleichheit. Es wäre zu kritisieren, dass ein um jeden Preis zu verhindernder Rückschritt im allgegenwärtigen Konformismus bereits angelegt ist. Und es wäre – anknüpfend an die Ideen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – für eine Revitalisierung utopischen Denkens über das Bürgertums hinaus zu kämpfen. Symbolisch hieße das, die linke Seite des Magneten zu stärken und die rechte auszubremsen, womit die Magnet-Analogie bereits an ihre Grenze kommt. Aber wir sind ja auch keine Physiker, sondern Kommunistinnen.

Magnet-Theorie

PDF – Die Furcht vor dem Kulturmarxismus

PDF - Die Furcht vor dem Kulturmarxismus

Heute Abend versuchen die Pfeifen von Pegida mal wieder ein Fuß auf Duisburgs Straßen zu setzen. Beworben wird die Veranstaltung unter anderem mit dem Slogan „Gegen Kulturmarxismus“, der durch die Worte „gegen die Zerstörung deutscher Sitten und Traditionen“ ergänzt wird.

Kommend aus den USA erfreut sich der Begriff des Kulturmarxismus auch unter deutschen Rechten steigender Beliebtheit. Wir haben die Geschichte dieser im Kern antisemitischen Verschwörungstheorie sowie ihre Hintergründe und Wirkmacht in der Gegenwart nachgezeichnet. Der Text kann hier als PDF heruntergeladen werden.

„PDF – Die Furcht vor dem Kulturmarxismus“ weiterlesen

Offener Lesekreis Krefeld – Kritische Theorie

Offener Lesekreis Krefeld

„Die Lesekreisbewegung ist wahrscheinlich konstitutionell unfähig, das Bedürfnis nach Aufklärung zu erfüllen. Was sie produzieren wird, wird wohl mehr dem Haufen wildgewordener Filosofiestudenten [sic] aufs Haar gleichen, der allerorten die Magazine vollschreibt mit den einfältigen Eingebungen ihres domestizierten Genies“, schrieb Jörg Finkenberger in „Das große Tier #3“ – sicherlich nicht ganz zu Unrecht. Wir wollen es trotzdem versuchen und uns gemeinsam kritisch der „Kritischen Theorie“ nähern.

Wir starten am 16.11. mit „Der eindimensionale Mensch“ von Herbert Marcuse. Bitte lest bereits zum ersten Treffen die Vorrede „Die Paralyse der Kritik: eine Gesellschaft ohne Opposition“. Nach einer kurzen historischen Einordnung Marcuses Schaffens (dazu gibt es einen Mini-Vortrag) wollen wir mit der Besprechung der Vorrede beginnen und gemeinsam den weiteren Verlauf des Lesekreises planen. Vorwissen ist nicht notwendig.

Das Dazustoßen zu einem späteren Termin ist möglich, wir empfehlen allerdings, bereits am 16.11. teilzunehmen. Eine Voranmeldung ist nicht nötig, schickt uns dennoch gerne eine kurze Nachricht, falls Ihr teilnehmen möchtet, dann können wir die Teilnehmendenzahl besser einschätzen.

Wir freuen uns drauf.

16.11. ab 18:30 Uhr
35 Blumen, Westwall 80b, 47798 Krefeld

PS: Eine PDF-Version des Buches ist hier verfügbar:
https://schmecks.noblogs.org/files/2012/07/Marcuse-Der-eindimensionale-Mensch.pdf

Eine Empörung über die Armutsverachtung im Bürgerblättchen

Screenshot RP-Artikel "Krisengipfel zur Bettelei in der City"

In seinem Artikel „Krisengipfel zur Bettelei in der City“ (RP, 23.09.) springt Jens Voss der Krefelder Werbegemeinschaft rund um Christoph Borgmann zur Seite, deren „Krise“, bar jeder Analysebereitschaft, auf „aggressives“ Betteln zurückgeführt wird.

Eine Empörung über die Armutsverachtung im Bürgerblättchen:

Es sollte in einem Text wie diesem nicht darum gehen, aus dem warmen Nest heraus Partei für die Ärmsten zu ergreifen und sich auf einfachsten Weg auf die Seite der moralischen Überlegenheit zu schlagen – aber angesichts der sozial-snobistischen Armutsverachtung eines Jens Voss und all jener, denen er das Wort schreibt, fällt es schwer, eben das nicht zu tun.

In der Rheinischen Post fordert man ein strikteres Vorgehen gegen „aggressives“ Betteln aber eigentlich gegen Betteln überhaupt, man empört sich über die „Dreistigkeit“ jener, welche wegen Sucht und Armut genötigt sind, soziale Gepflogenheiten über Bord zu werfen und man empört sich vor allem über die Umsatzeinbußen des durch die Corona-Pandemie ach so geplagten Einzelhandels.

Freilich außer Acht gelassen wird, dass der bürgerliche Staat sein kapitalinteressengeleitetes Klientel, also auch die Einzelhändler, nicht so im Stich gelassen hat, wie Jammerlappen- Yuppies (Christoph Borgmann) es ununterbrochen darstellen und freilich außer Acht gelassen wird auch, dass Lockdown-entleerte Einkaufsstraßen jene am härtesten getroffen haben, welche ohnehin durch alle staatlichen Netze fielen und die nach ihrem ungebremsten Sturz auf die Mikro-Spendenbereitschaft innerstädtischer Laufkundschaft angewiesen sind – man könnte es sich in seiner ganzen verkommenen Überheblichkeit nämlich sonst nicht so leicht machen, wenn es auf die Suche nach Schuldigen für die „geplagte“ Einzelhändler-Szene geht.

Denn klar, gäbe es all die störenden armen Menschen nicht, dann hätten sicherlich alle gut betuchten des Krefelder Umlands nichts Besseres zu tun, als sich am Wochenende die phänomenale Shopping-Experience der Krefelder Innenstadt aufs Erlebniskonto zu packen, denn nirgendwo sonst ist ein Flanieren zwischen exklusiven Douglas-Filialen, einzigartigen O2-Shops und avantgardistischen C&A-Ketten so reizvoll und gut möglich wie hier.

Armut wird bei Jens Voss und Konsorten zum negativen Alleinstellungsmerkmal dieser Stadt, damit man sich eine gründlichere Ursachenforschung ersparen kann. Das Problem sind für sie die, die eh schon unten sind – da tritt es sich auch leichter. Die übliche Leserschaft dürfte sich lakonisch kopfschüttelnd und völlig bestätigt in ihre Ohrensessel zurücklehnen, ohne zu zögern Partei für das alt-eingesessene ergreifen und in Zukunft das (Herren-)Handtäschchen noch etwas fester umklammern, wenn die Hoch- zur Neusserstraße wird.

Angesichts der ihnen unbewussten Tatsache, dass den meisten selbst das Damoklesschwert der Prekarisierung über dem Haupte schwebt, wird man sich der Verdrängung dieses Umstandes gerne hingeben und suhlt sich in der Verachtung gegenüber jenen, die es schon erwischt hat. Verharrend in einem anachronistischen Standesdenken ignoriert man die Tatsache, dass immer mehr immer ärmer werden, verneint das als ein konkretes Bedrohungsszenario für sich selbst und verhält sich wie gewohnt maximal affirmativ jenen Umständen gegenüber, deren Resultat es ist, dass man auf seinem Weg zu Deichmann öfter und öfter nach ein paar Cent gefragt wird.

Der Inhaber des sportlich-eleganten Haute Couture Geschäfts Borgmann spricht von „blank liegenden Nerven“, von „furchtbaren Tagen“, ja sogar von „Beängstigung“ – und all das ist auch angebracht, nur aus völlig anderen Gründen.

Seine und Voss’ Armutsschilderung führt zu dem, was sie ihnen nach auch bezwecken soll – Armutsverachtung, bräsige Selbstzufriedenheit und ein „härteres Durchgreifen“ – aber nicht zu dem, was sie eigentlich hervorbringen sollte: Empörung, Unbehagen, Beunruhigung und ein Gewahrwerden darüber, dass eine Gesellschaft, in der es Armut gibt, eine unmenschliche Gesellschaft ist, die unter keinen Umständen so bleiben darf.

36 Jahre Vermummungsverbot in Deutschland

Vermummungsverbot in Deutschland ... und was "agents provocateur" in krefeld damit zu tun hatten

25. Juni 1983:

Anlässlich einer Feier zu „300 Jahre Deutsche in Amerika“ reiste der damalige US-Vizepräsident George Bush nach Krefeld. Ebenfalls angereist waren auch etwa 1000 Autonome, die das Treffen offensiv angreifen wollten und sich mit den friedlichen Aktionen der als zu bürgerlich empfundenen Friedensbewegung nicht zufrieden geben wollten.

Schon vor der Demonstration kontrollierte die Polizei anreisende Fahrzeuge, alle Gepäckschließfächer im Bahnhof, observierte „einschlägig bekannte Objekte“ und stürmte eine Wohngemeinschaft, in der mehrere aus Hamburg angereiste Autonome übernachteten. Außerdem verhängte sie für den gesamten Innenstadtbereich ein fast zweiwöchiges Demonstrationsverbot und richtete eine eigene „Nachrichtensammel- und Informationsstelle“ ein.

Als die Demonstration wenige hundert Meter nach dem Start in die Breitestraße einbiegen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die an dem Tag stark vertreten war. Unterstützt wurde sie vom SEK, das durch sein brutales Eingreifen von sich Reden machte und die Demonstration auseinanderschlug. Rund 50 Demonstrantinnen und Demonstranten wurden verletzt, 134 festgenommen.

Für ein Nachspiel sorgte der Berliner V-Mann Peter Troeber. Troeber soll sich maßgeblich an den Ausschreitungen beteiligt haben und wurde vorübergebend festgenommen. Im Haftbefehl war sogar ausdrücklich die Rede davon, dass Troeber Steine auf anwesende Polizisten geworfen haben soll.

Trotz der Enttarnung des „Agent Provocateurs“ Troeber nutzte insbesondere die CDU die „Krefelder Krawalle“ als Anlass, das Demonstrationsrecht zu überarbeiten und Vermummung sowie Schutzbewaffnung zu verbieten. Das Gesetz trat am 28. Juni 1985 in Kraft.

Zwei Wochen nach der Demonstration wurde außerdem ein Nachbereitungstreffen in Wuppertal von der Polizei aufgelöst und die anwesenden 104 Personen festgenommen sowie erkennungsdienstlich behandelt.

Beuys in Krefeld – Kein Grund zum Feiern

beuys in krefeld – kein grund zum feiern

„Krefeld – schmucklose Industriestadt am linken Niederrhein“ – wäre wohl die zutreffendste Beschreibung für diesen Fleck zwischen Ruhrgebiet und Rheinland. Da jedoch Realität und Selbstwahrnehmung oft weit auseinanderklaffen, präsentiert sich Krefeld an seinen Ortseingängen als „Stadt am Rhein“, was nur sehr bedingt zutrifft, oder, noch peinlicher, als „Stadt wie Samt und Seide“, was jeder Person ohne Sehschwäche wie ein schlechter Scherz vorkommen muss.

2021 wurde unter der Schirmherrschaft Armin Laschets zum großen Beuys-Jahr ausgerufen und für das hiesige Stadtmarketing eröffnete sich so eine weitere Möglichkeit, Krefeld mit einem zweifelhaften Attribut auszustatten – Krefeld ist Beuys-Stadt. Tatsächlich wurde Joseph Beuys vor 100 Jahren in Krefeld geboren, verbrachte aber dort bloß seine ersten drei Lebensmonate. Doch wenn jubiliert wird, will man schließlich was vom Kuchen abhaben. Vom Jugendtheater über die Volkshochschule bis zur Burg Linn wird in fast allen städtischen (Kultur)Institutionen dem Fett&Filz-Künstler gehuldigt.

Zudem kann man im ganzen Stadtgebiet auf „den Spuren von Beuys“ wandeln – hierbei hat es den Anschein als habe man, damit es sich nicht nach zwei Stationen ausgewandelt hat, jede Belanglosigkeit mit entferntestem Beuys-Bezug zur biografischen Landmarke erhoben.

Zentrum der lokalen Festivitäten ist das Kaiser-Wilhelm-Museum, dessen Vorplatz im Stile eines Lidl-Parkplatzes jüngst nach Joseph-Beuys benannt wurde. An Beuys‘ Geburtshaus prangt eine Gedenktafel und jede zweite Straßenlaterne wird von Werbeplakaten der offiziellen „beuys2021“-Kampagne geziert. Beuys ist gerade überall.

Doch mit wem schmückt man sich da eigentlich? Wenn mal wieder keine Verrenkung gescheut wird, um auf etwas stolz sein zu können, dann lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Die Kampagne „Beuys behind the scenes“ hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Entgegen der posthumen Verklärung Beuys‘ zum links-ökologischen Radikal-Demokraten, handelt es sich bei dem einflussreichsten deutschen Nachkriegskünstler nämlich keineswegs um einen progressiven Humanisten.

Für etwas Besseres als Zurück zur Normalität

Eine linke Kritik an der aktuellen Corona-Politik, wie sie etwa durch die Kampagnen ZeroCovid oder NoCovid formuliert werden, bilden einen notwendigen Gegenpol einerseits zu dem faschistischen Aufbegehren der sogenannten „Querdenker“ und andererseits zum neoliberalen Kurs der Bundesregierung und der Länder. Was Corona-Verharmlosende und zahlreiche sich auf „die Wissenschaft“ berufende Gegenstimmen allerdings eint, ist: der Wunsch, schnellstmöglich zur „Normalität“ zurückzukehren.

Was aber ist eine Normalität wert, in der der Mensch den Verwertungsmechanismen ohnmächtig gegenübersteht, in der das „glückliche Bewusstsein“ ein zum Himmel schreiender Selbstbetrug ist und in der Vernunft nicht ohne die vorgestellte Ergänzung „instrumentell“ gedacht werden kann? In der wir den Antisemitismus der „Querdenker“ nicht als zufällige Begleiterscheinung, sondern als Personifizierung der abstrakten Herrschaft innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung vorfinden? In der jeder Akt zur Besserung, alles Anklagende und Widerständige systemkonform domestiziert wird und zur Stärkung des bestehenden Falschen beiträgt?

Wieso sehnen wir uns nach einer Normalität, in der die marxistische Forderung nach der Trennung von Freizeit und Arbeit kontinuierlich aufgelöst wird, etwa durch die Etablierung von Homeoffice oder die vorauseilende Aufopferung für unseren Job?
Wer die Rückkehr zur Normalität fordert, der fordert den Fortbestand eines postmodernen Kapitalismus, in dem die Auslöschung systemkritischer Stimmen längst besiegelt scheint. In dieser Normalität haben wir gelernt, unsere begründete Unzufriedenheit durch die selbstoptimierte Eingliederung in die herrschenden Verhältnisse zu besänftigen.

Nun wäre es fernab jeglicher Realität, die aktuelle Pandemie als möglichen Startschuss für ein neues linkes Aufbegehren begreifen zu wollen. Genau so falsch ist es allerdings, sich als staatspolitische Elendsverwalter anzubiedern!

Bei allen realpolitischen Forderungen dürfen wir das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren. Für uns muss klar sein: Der Schutz unseres Lebens darf bei Corona nicht halt machen. Wir müssen uns ebenso schützen vor der Gewalt der Verhältnisse, die wir verinnerlicht haben und weitertragen. Wir müssen uns schützen vor den aktuellen Katastrophen und denen, die sich bereits ankündigen. Fordern wir das, was nie weiter entfernt schien als heute: das Ende der Normalität.

Demoaufruf: Menschenleben vor Profite

Seit gut einem Jahr beherrscht die Corona-Pandemie unseren Alltag. Nahezu 80.000 Tote sind bereits allein in Deutschland zu beklagen und die Folgeschäden einer Infektion ebenfalls noch nicht abzusehen. Eine Pandemie, die in keiner Weise auf die leichte Schulter genommen werden darf und für uns alle eine Ausnahmesituation darstellt.

Zu Beginn der Pandemie ging es mit Flatten-the-Curve, also dem Abflachen der Infektionskurve, darum, die Intensivstationen in den Krankenhäusern vor Überlastung zu schützen und Zeit für weitreichendere Maßnahmen zum Infektionsschutz zu schaffen, um das Virus in den Griff zu bekommen. Das war wichtig und wurde von einer breiten Schicht von Bevölkerung und Politik mitgetragen.

Darauffolgend wurde sich allerdings selbstgefällig auf den niedrigen Infektionszahlen des letzten Sommers ausgeruht und gegen jedes bessere Wissen aus Wissenschaft und den Pandemie-Erfahrungen anderer Länder die Warnung vor weiteren Infektionswellen in den Wind geschossen. Nur, um diesen Zeitgewinn zu verspielen und unvorbereitet von der zweiten Welle getroffen zu werden. Seitdem hangeln wir uns von Teil-Lockdown zu Teil-Lockdown.

Auch in der dritten Coronawelle scheint man nichts dazugelernt zu haben. Die Hoffnungen, die Bevölkerung schnell durchzuimpfen, haben sich angesichts der fehlenden Initiative, genügend in die Impfstoffbeschaffung zu investieren, zerschlagen. Es hat sich gezeigt, dass eine allumfassende Strategie den besten Schutz bietet, die neben dem Impfschutz, Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln, vor allem eine Nachverfolgung der Infektionsketten unerlässlich macht und nur durch breites Testen und eine konsequente Quarantäne zu erreichen ist. Hiervon ist allerdings wenig zu sehen. Die Maßnahmen treffen immer noch hauptsächlich das Privatleben, aber auch kleine und mittlere Gewerbe, während Großunternehmen und bestimmte Wirtschaftszweige bis dato völlig aus der Verantwortung genommen werden. Immer noch wartet man vergeblich auf verpflichtenden Hygiene-, Test- und Meldestrategien für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Stattdessen soll das Privatleben durch Ausgangssperren weiter eingeschränkt werden, obwohl sich das Infektionsgeschehen größtenteils in Innenräumen abspielt. Wem ist es noch zu vermitteln, dass wir einerseits nach 21 Uhr das Haus zum Spazierengehen nicht verlassen dürfen, der Weg zur Arbeit davon aber ausgeschlossen ist? Dass wir uns weiterhin in volle Busse und Bahnen quetschen, um anschließend in den Fabriken, Lagerhallen und Büros Seite an Seite arbeiten zu müssen?
Ganz zu schweigen von fehlenden Entlastungen für Pflegekräfte, die durch diese Inkonsequenz und der seit Jahren laufenden Privatisierung und Demontage des Gesundheitssektors bereits seit Monaten die steigenden Infektionszahlen ausbaden müssen. Applaus und Anerkennung klingen zwar schön, verbessern aber nicht die katastrophalen Arbeitsbedingungen. Vor allem kosten sie nichts. Konzepte für Kindergärten, Schulen und Unis gehen bis jetzt über die Frage „Öffnen oder Schließen?“ und „Online- oder Präsenzunterricht?“ nicht hinaus.

Ebenso die schleppenden Coronahilfen, etwa für Studierende und Selbständige: Während beispielsweise der AStA mit privaten Spenden und einem Hilfsfonds die finanzielle Notlage vieler Studierender eindämmen muss, erhalten Großunternehmen wie die Lufthansa kaum an Bedingungen geknüpfte Finanzspritzen. Firmen wie Siemens, Daimler und die Telekom fahren, unter anderem Dank des aus den Sozialkassen finanzierten Kurzarbeitergeldes, hohe Gewinne ein und können trotz der Krise großzügig Dividenden an Auktionärinnen und Auktionäre verteilen. Wohnungslose und Geflüchtete, wie etwa auf Moria, werden komplett ihrem Schicksal überlassen. Auf eine globale Bekämpfung der Pandemie, unter anderem durch Aussetzen der Patente für weniger wohlhabende Länder und Ausbau oder Aneignung der Produktionsstätten für Impfstoffe darf man von einer auf Profitmaximierung ausgelegten Politik auch wenig hoffen.

Der Kurs der Regierung ist klar: Abwälzung der Verantwortung und Kosten der Pandemie auf die Allgemeinheit, die gesundheitlich und finanziell sowieso schon das größte Risiko trägt. Das zeigen bereits Rekordgewinne von DAX-Konzernen oder der enorme Vermögenszuwachs von Milliardärinnen und Milliardären. Währenddessen wird von wirtschaftsnahen Instituten bereits der Vorschlag unterbreitet, das Renteneinstiegsalter auf 69 Jahre zu erhöhen, um die Kosten der Pandemie aufzufangen. Von einer Beteiligung der Krisengewinnerinnen und -gewinner keine Spur.

Während sich die aktuelle Politik als alternativlos verkauft, inszenieren sich völlig weltfremde Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten „Querdenker“ als Opposition, haben allerdings nichts anzubieten, außer dem Verharmlosen oder gar Leugnen der Gefährlichkeit der Pandemie in Verbindung mit Verschwörungsideologien und einer rückständigen Naturromantik, die nur das Recht des Stärkeren kennt.

Der Dämmerzustand, in welchem wir uns seit nun über einem Jahr befinden, schadet mehr als er nutzt, fordert unnötig weitere Tote und hilft außer einigen wenigen auch nicht der Wirtschaft.

Daher rufen wir, ein Bündnis aus Parteien, Vereinen und politischen Gruppen, zur Demo „Menschenleben vor Profite – Solidarisch durch die Pandemie“ auf. Gemeinsam fordern wir eine solidarische Bewältigung dieser für uns alle schwierigen Zeit, die niemanden zurücklässt und den Schutz und die Absicherung der Bevölkerung sowohl gesundheitlich als auch finanziell in den Mittelpunkt stellt.

Beginn: Montag, 26. April – 18:30 Uhr
Krefeld, Karlsplatz (vor dem Kaiser Wilhelm Museum)

Bitte tragt FFP2-Masken und haltet euch an die Abstandsregeln
Corona-Leugner und „Querdenken“-Anhängerinnen sind nicht willkommen.

Der Aufruf ist unterzeichnet von:
Anarchistische Gruppe Krefeld
antifa désaccord krefeld
AStA der Hochschule Niederrhein
Bündnis Krefeld für Toleranz und Demokratie
Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein
Die LINKE Kreisverband Krefeld & Ratsfraktion
FAU Krefeld
Flüchtlingsrat Krefeld
Grüne Jugend Krefeld
H5
Jusos Krefeld
Linksjugend [’solid] Krefeld
Omas gegen Rechts Krefeld & Kempen
Riot Racoons
Seebrücke Krefeld
Solidaritätshaus/DIDF-Krefeld
Vegan for Future
VVN-BdA Krefeld

Gegen jeden Antisemitismus

Vergangenen Freitag kam es bei einer Hanau-Gedenkveranstaltung in Köln zu anti-israelischen Äußerungen. Alle Details dazu beim Bündnis gegen Antisemitismus Köln.

Wir haben dies zum Anlass genommen, einen Teil unseres Redebeitrages, den wir im September bei einer Kundgebung in Krefeld anlässlich 6 Monaten Hanau gehalten haben, zu veröffentlichen. Denn gerade vor dem Hintergrund, dass der Attentäter ein manifestes antisemitisches Weltbild besaß und unter anderem die Vernichtung Israels forderte, sind die Äußerungen von „Palästina Spricht NRW“ und „Young Struggle Köln“ blanker Hohn.

[…] Das Weltbild der Täter [Hanau, Christchurch, Halle und Utoya] und ihres in Internetforen applaudierenden Publikums ist lächerlich einfach. Man wähnt sich als Held in einem weltumspannenden Kampf von Gut gegen Böse. Anhänger der QAnon-Theorie fungieren als tausendfache Multiplikatoren dieser wirren Weltwahrnehmung. Immer sind die Phantasmen einer jüdischen Weltverschwörung, eines betrogenen Volkes und einer erwählten Rasse präsent.
All das finden wir auch in den schriftlichen Hinterlassenschaften des Täters von Hanau. Ein unerträgliches Schwadronieren über Geheimgesellschaften, Deepstate und satanische Eliten.

Was für die meisten ein hinreichender Grund wäre, eine schwere Paranoia zu diagnostizieren, avanciert zu einer Massenmeinung. Es wäre eine Verschleierung massiver antimoderner und regressiver Strömungen und der sie bedingenden Verhältnisse, wenn man die Täter als einsame Irre darstellt. […]
Antisemitismus und Rassismus stehen in der Welt der Täter nicht unabhängig nebeneinander; sie werden in einen kausalen Zusammenhang gesetzt. Der Jude – meist verklausuliert als „geheimer Zirkel“ – ist der Strippenzieher, derjenige, der die Welt ins Chaos stürzen und das (deutsche) Volk zu unterdrücken gedenkt. Schwarze und nicht als „deutsch“ wahrgenommene Menschen werden als niedere, primitive Rasse angesehen. Im großen Geheimplan werden sie als entindividualisierte Masse betrachtet, die von den Mächtigen wie Schachfiguren eingesetzt würden, um ihre sadistischen Pläne durchzusetzen. Im Kleinen sorgen diese Menschen dann allerdings ganz konkret dafür, dass das „Deutschtum“ zersetzt werde. Eine Vorstellung, die in weiten Teilen der extremen Rechten vertreten wird, nicht zuletzt bei der Identitären Bewegung.

Der Kampf gegen Rassismus kann erst dann erfolgreich sein, wenn er mit dem Kampf gegen Antisemitismus verbunden wird. Eliminatorische Vernichtsungsfantasien, wie sie von immer mehr Männern in die Tat umgesetzt werden, speisen sich nämlich gerade aus der Verknüpfung aus beidem. Der Rückzug in Verschwörungsideologien, die jeglicher Rationalität entbehren und von einfachstem Freund-Feind-Denken geprägt sind, erscheint dabei als treibende Kraft für die eigene Radikalisierung. […]