Protest gegen „Querdenken“

Bei ziemlich beschissenem Wetter waren wir heute mit insgesamt 200 Personen auf dem Von-der-Leyen-Platz vor dem Krefelder Rathaus, um der zeitgleich stattgefundenen Querdenken-Demonstration etwas entgegen zu setzen. Deren Teilnehmenden waren auch wenig erfreut über unsere Anwesenheit und gerieten das ein oder andere mal ziemlich in Rage. Gut so.

Im Anschluss verfolgte die Polizei noch einige Antifas durch die Innenstadt und hielt diese von der Querdenken-Demo fern. Einzelne Personen wurden sogar bis zur eigenen Haustür eskortiert.

Hier dokumentieren wir unseren kurzen Redebeitrag auf der Kundgebung.

Seit nun mehr als 1 1/2 Jahren gehen deutschlandweit Personen aus der sogenannten „Querdenken“-Bewegung auf die Straße. Ihre scheinbaren Argumente, weshalb Corona entweder gar nicht existiere oder nicht so schlimm sei, um konsequent bekämpft werden zu müssen, haben sich in dieser Zeit kaum geändert. So weit, so vorhersehbar.

Was sich aber in diesen 1 1/2 Jahren ebenfalls nicht geändert hat, ist der Umgang mit dieser so häufig als heterogen bezeichneten Bewegung. Eine neue „wissenschaftliche Aufklärungskampagne“ jagt die nächste. Erst kürzlich produzierte die Bundesregierung für 60 Millionen Euro eine Kampagne mit dem grandiosen Slogan „Impfen schützt“. Ganz so, als würden sich jene, die sich noch nicht haben impfen lassen, durch rationale Argumente – oder noch schlimmer: durch emotionale Appelle – dazu umstimmen lassen. Es scheint, als habe die Bundesregierung den ideologischen Kern der ImpfgegnerInnen nicht einmal verstehen wollen.

Nun könnte man hoffen, dass zumindest linke Kräfte dahingehend weiter gedacht hätten. Naja, nicht ganz. Noch immer heißt die Parole vielerorts: „Man marschiert nicht zusammen mit Nazis“. Klar, das ist nicht falsch. Und auch in Krefeld wird der Neonazi Kevin Gabbe händeküssend empfangen und finanziell unterstützt. Aber zum Kern des Problems dringt man damit nicht vor. Auch das seit wenigen Monaten prominente Aufbegehren, endlich selbst eine linke Kritik an der staatlichen Coronapolitik auf die Straße zu tragen, ist alles andere als verkehrt, nimmt eine notwendige Analyse der „Querdenken“-Bewegung aber aus dem Blickfeld.

Denn: Querdenken und Co. wären auch ohne die Nazis und Reichsbürger in den eigenen Reihen rechts. Rechte erkennt man nicht an ihrer Kleidung, nicht an ihrem Musikgeschmack, nicht an der Farbe der Luftballons oder der Größe ihrer Blümchenketten und auch nicht an ihrem imaginierten Selbstbild, sondern an ihren politischen Inhalten, welche in den sagenumwobenen Telegramgruppen zuhauf zu finden sind. Im Selbstverständnis werden diese allerdings entpolitisiert und verallgemeinert, sodass nur noch inhaltsleere Begriffsbestimmungen übrig bleiben, etwa bei der mantra-ähnlichen Wiederholung, für Frieden und Freiheit auf die Straße zu gehen, ohne dabei deren innere Antinomie überhaupt in Betracht zu ziehen. Der Freiheitsbegriff von Querdenken und co ist ein Witz. Mehr nicht. Obwohl: Eigentlich ist er vielmehr Ausdruck des eigenen Sozialdarwinismus, nämlich der Vorstellung, ein Recht darauf zu besitzen, anderen Schaden zufügen zu dürfen. Wahrlich keine linke Idee.

Immerhin: Viel wurde in der Pandemiezeit über den antisemitischen Charakter von Verschwörungstheorien gesprochen, wenn auch häufig in einem positivistischen Duktus. Weit weniger wurden die faschistischen oder zumindest faschistoiden Züge der gesamten Querdenken-Bewegung unter die Lupe genommen. Und gerade hier sehen wir eine Menge Nachholbedarf, möchte man die derzeitigen Zustände begreifen.

Wir müssten uns mit dem Wesen des Konformismus befassen, der bei den Mittelstands-Rebellen besonders stark ausgeprägt ist, auch wenn diese das vehement von sich weisen und ihn stattdessen in Form pathischer Projektion auf äußere Kräfte übertragen. Wir müssten uns mit der Wirkweise der „falschen Propheten“ befassen, wie Leo Löwenthal die faschistischen Agitatoren bezeichnete. Wir müssten verstehen, dass Faschismus kein Synonym für Hass und Gewalt ist und auch nicht primär von Springerstiefel-tragenden Glatzen verbreitet wird, sondern in erster Linie in der bürgerlichen Mitte gedeiht. Eine kritische Befassung mit den verschiedenen Faschismustheorien ist dabei unerlässlich – auch, um ihre innere Widersprüchlichkeit zu erkennen.

Wir müssten uns mit der Dialektik der Aufklärung befassen, also der Frage, inwieweit die Durchrationalisierung der Gesellschaft zu einem neuen Irrationalismus führt, der sich nicht nur in der Anthroposophie, der Homöopathie, der Impfgegnerschaft, der Esoterik findet, sondern auch in der gesamten ökonomischen Gesellschaftseinrichtung. Wir müssen also an einer Gesellschaft arbeiten, in der die psychosozialen Ursachen für das derzeitige reaktionäre Aufbegehren beseitigt werden. Daher sagen wir: Rebellion? Na klar, aber dann auch richtig!