Meinungsbeitrag anlässlich der Demo gegen rechts in Krefeld
Liebe Demoteilnehmerinnen und -teilnehmer,
wer hätte vor wenigen Wochen gedacht, dass deutschlandweit hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, um gegen die AfD zu demonstrieren? Lange Zeit schien es, als wären die Umfragewerte von über 20% bereits zur Normalität geworden. Dass sich nun ein spektrenübergreifender Protest formiert – auch in Krefeld – gibt Hoffnung in aussichtslosen Zeiten. Danke dafür!
Gleichzeitig rufen die Proteste aber auch Verwunderung bei uns hervor, haben wir die Correctiv-Recherche, welche den Anlass für die aktuelle AfD-Kritik darstellt, doch fast als aufgewärmten kalten Kaffee wahrgenommen. Die Positionen der AfD und der Neuen Rechten – insbesondere bezüglich Abschiebungen – liegen seit Jahren offen. Anfangs noch halbwegs kaschiert, geben sich mittlerweile selbst der sich als konservativ-bürgerlich wahrnehmende AfD-Kreisverband Krefeld und der NRW-Landesverband kaum noch die Mühe, daraus einen Hehl zu machen. Erst vor wenigen Monaten lud die AfD-Krefeld den ehemaligen NPD-Kader Bernd Kallina zu einem Vortrag ein. Antifaschistischer Protest sorgte allerdings dafür, dass die Veranstaltung nicht stattfinden konnte. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Publikation „(extrem) rechte Strukturen in Krefeld“ kommt nach der detaillierten Betrachtung des Krefelder AfD-Kreisverbandes zu folgender Bewertung: „Nicht nur hat die Krefelder AfD keine Berührungsängste mit offen extrem rechten Personen und Strömungen innerhalb der Partei, sie arbeitet sogar ganz konkret mit ihnen zusammen und bietet diesen eine Bühne.“
Die Verbindungen aller AfD-Landes- und Kreisverbände zu neonazistischen, rassistischen und nationalistischen Kreisen und Personen würde ganze Bücher füllen. In ihrer Gesamtheit ist die AfD das wichtigste Organ für den organisierten Faschismus in Deutschland. Das war sie lange vor der Correctiv-Recherche und wird es auch danach noch bleiben.
konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Gegen anti-emanzipatorische Angriffe ist der Status-Quo mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.
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Dennoch: Die etablierte Kritik an der AfD fällt in weiten Teilen hinter den möglichen Stand der Kritik zurück; was fehlt, ist nicht etwa ein Abarbeiten an Personen der AfD, nicht einmal an einzelnen Positionen, sondern eine theoretische Analyse, welche die Gesellschaft in den Blick nimmt, in der die AfD überhaupt gedeihen konnte. Viel ist von der „Lehre aus der Geschichte“ die Rede. Zuvorderst müsste diese aber beinhalten, was in der deutschen Erinnerungskultur, welche von einem Lobgesang auf „die Demokratie“ kaum zu unterscheiden ist, den wohl geringsten Stellenwert einnimmt: die Frage, wie in einer Gesellschaft, die durch Aufklärung, Moderne, Wissenschaft – „Zivilisation“ – geprägt wurde, die Lust nach dem Zivilisationsbruch gedeihen konnte und kann. Bei allen – teils unangebrachten – Vergleichen der AfD mit der NSDAP, wäre das die wohl zentralste Fragestellung, die von der NS-Zeit auf 2024 verweist.
Verkürzt gesagt: Die Moderne kann ihr Glücksersprechen nicht einlösen. Dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, wird von uns zwar gefühlt, aber nicht erkannt. Statt sich mit den Grundbedingungen des unmenschlichen Lebens (z. B. die Erziehung des Menschen zum Mittel zum Zweck im kapitalistischen Produktionsprozess) auseinanderzusetzen, also ein Verständnis für das eigene Unglück zu finden, neigen wir dazu, konkrete Feindbilder als Sündenbock zu suchen oder eine irrationale Ablehnung der Moderne zu entwickeln. In der psychosozialen Faschismusforschung spricht man vom „autoritären Charakter“ oder „konformistischer Rebellion“. Wollen wir die Ideale der Moderne retten, gilt es, ihre Widersprüchlichkeiten („Dialektik“) bewusst zu machen und das individuelle Leid als Resultat falscher Verhältnisse zu begreifen. Das schließt einerseits die abstrakte Ablehnung von Aufklärung und Moderne, andererseits ihre enthusiastische Lobpreisung aus. Nur durch die Verbesserung der Verhältnisse und eine selbstreflektierende Gesellschaftstheorie lässt sich greifen, wie und wo Faschismus gedeiht und weshalb seine Anfälligkeit besonders im „angepassten Bürgertum“ stark ausgeprägt ist.
konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Faschismus ist an seiner Wurzel zu bekämpfen. Diese liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft und ist maßgeblich durch die politische Ökonomie geprägt.
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Wann immer eine AfD-Position von einer anderen Partei übernommen wird, brüsten sich Politikerinnen und Politiker damit, der AfD WählerInnenstimmen abgenommen zu haben. Doch fragen wir uns: Was ist damit gewonnen? Das Problem an der AfD ist nicht die Partei selbst, sondern das, wofür sie steht.
Das Problem ist, dass so viele Menschen in Deutschland dem zustimmen. Und das tun sie – anders, als das die „etablierten Parteien“ wahrhaben wollen – nicht aus Verzweiflung, sondern aus einem inneren Antrieb heraus. Die Omnipräsenz der konformistischen Rebellion innerhalb der AfD-WählerInnenschaft ist nicht etwa ein Hinweis darauf, dass sich die diffuse „Unzufriedenheit“ durch eine angepasste Politik einhegen ließe, sie stellt vielmehr das Grundmerkmal des faschistischen Aufbäumens dar. Das erklärt auch, weshalb alle dahingehenden Versuche, so falsch sie bereits in der Theorie sind, in der Praxis keinerlei Effekt zeigen – schließlich wählt man lieber das Original. Weiter verkennt der Fokus auf die Partei AfD, dass an dem „Geheimtreffen“ eben nicht nur AfD-Politiker teilgenommen haben, sondern ebenso Mitglieder der CDU-nahen Werteunion.
konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Wir betrachten die AfD nicht nur als Partei, sondern vielmehr als Organisationsform einer politischen Bewegung.
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„Im großen Stil abschieben“ zitierte der Spiegel kürzlich Olaf Scholz. Ungewöhnlich klare Worte waren das, spricht man auf Regierungsebene doch in bester bürokratischer Manier viel lieber von „Rückführungsverbesserungsgesetz“ oder „sicheren Grenzen“. Welch ein Glück für Scholz und Co., könnte man höhnisch anmerken, dass sich im Sommer, als die neue GEAS-Reform verabschiedet wurde, kaum jemand für die Unmenschlichkeit von Abschiebungen interessierte. Ganz ohne „Geheimplan“, ganz ohne die AfD und ganz ohne Martin Sellner wird Europa seit vielen Jahren zur Festung hochgerüstet, inklusive tödlichen Pushbacks und Abschiebungen, Lagern, Mauern. Die ganz normale systemtragende Brutalität eben. Klar, GEAS und die kühnsten Träume eines „reinrassigen Deutschlands“ trennen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Unterschiede. Eine laute und breite Empörung über autoritäre Formierung, Abschaffung des Asylrechts und Abschottungspolitik wäre jedoch mehr als angebracht gewesen.
Es zwängt sich die Befürchtung auf, dass eine wesentliche Motivation für die derzeitigen Proteste eine Art „Verfassungspatriotismus“ ist. Nicht etwa wäre dann die treibende Kraft eine berechtige Empörung über aktuelle und zukünftige Unmenschlichkeiten, insbesondere da, wo am lautesten die Ideale der „Menschenrechte“ und des Humanismus hochgehalten werden, sondern die ideologische Identifizierung mit dem Status-Quo. Nicht scheint es um den Schutz von Menschen zu gehen, sondern um den Schutz von Institutionen.
konsequent antifaschistisch heißt für uns:
Wir kämpfen nicht für den Schutz von Staat, Verfassung und Gesetz, sondern für ein menschenwürdiges Leben für Alle.
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Schließlich zeigt sich die Notwendigkeit, unsere moralische Empörung als Startpunkt für eine theoretisch-analytische und praktisch-politische Bewegung zu nutzen. Lasst uns nach dieser Demo nicht auf die Schulter klopfend auseinandergehen, weil wir auf der „richtigen Seite“ stehen. Lasst uns unsere Kritik an der AfD und ihren Ursachen schärfen. Lasst uns nicht nur gegen einen autoritären Rollback kämpfen, sondern ebenso für eine bessere Zukunft. Lasst uns selbstkritisch darüber diskutieren, wie die Grundbedingungen des Faschismus, nicht nur ihre Symptome, effektiv bekämpft werden können.
konsequent antifaschistisch.
für ein besseres morgen.