In seinem Artikel „Krisengipfel zur Bettelei in der City“ (RP, 23.09.) springt Jens Voss der Krefelder Werbegemeinschaft rund um Christoph Borgmann zur Seite, deren „Krise“, bar jeder Analysebereitschaft, auf „aggressives“ Betteln zurückgeführt wird.
Eine Empörung über die Armutsverachtung im Bürgerblättchen:
Es sollte in einem Text wie diesem nicht darum gehen, aus dem warmen Nest heraus Partei für die Ärmsten zu ergreifen und sich auf einfachsten Weg auf die Seite der moralischen Überlegenheit zu schlagen – aber angesichts der sozial-snobistischen Armutsverachtung eines Jens Voss und all jener, denen er das Wort schreibt, fällt es schwer, eben das nicht zu tun.
In der Rheinischen Post fordert man ein strikteres Vorgehen gegen „aggressives“ Betteln aber eigentlich gegen Betteln überhaupt, man empört sich über die „Dreistigkeit“ jener, welche wegen Sucht und Armut genötigt sind, soziale Gepflogenheiten über Bord zu werfen und man empört sich vor allem über die Umsatzeinbußen des durch die Corona-Pandemie ach so geplagten Einzelhandels.
Freilich außer Acht gelassen wird, dass der bürgerliche Staat sein kapitalinteressengeleitetes Klientel, also auch die Einzelhändler, nicht so im Stich gelassen hat, wie Jammerlappen- Yuppies (Christoph Borgmann) es ununterbrochen darstellen und freilich außer Acht gelassen wird auch, dass Lockdown-entleerte Einkaufsstraßen jene am härtesten getroffen haben, welche ohnehin durch alle staatlichen Netze fielen und die nach ihrem ungebremsten Sturz auf die Mikro-Spendenbereitschaft innerstädtischer Laufkundschaft angewiesen sind – man könnte es sich in seiner ganzen verkommenen Überheblichkeit nämlich sonst nicht so leicht machen, wenn es auf die Suche nach Schuldigen für die „geplagte“ Einzelhändler-Szene geht.
Denn klar, gäbe es all die störenden armen Menschen nicht, dann hätten sicherlich alle gut betuchten des Krefelder Umlands nichts Besseres zu tun, als sich am Wochenende die phänomenale Shopping-Experience der Krefelder Innenstadt aufs Erlebniskonto zu packen, denn nirgendwo sonst ist ein Flanieren zwischen exklusiven Douglas-Filialen, einzigartigen O2-Shops und avantgardistischen C&A-Ketten so reizvoll und gut möglich wie hier.
Armut wird bei Jens Voss und Konsorten zum negativen Alleinstellungsmerkmal dieser Stadt, damit man sich eine gründlichere Ursachenforschung ersparen kann. Das Problem sind für sie die, die eh schon unten sind – da tritt es sich auch leichter. Die übliche Leserschaft dürfte sich lakonisch kopfschüttelnd und völlig bestätigt in ihre Ohrensessel zurücklehnen, ohne zu zögern Partei für das alt-eingesessene ergreifen und in Zukunft das (Herren-)Handtäschchen noch etwas fester umklammern, wenn die Hoch- zur Neusserstraße wird.
Angesichts der ihnen unbewussten Tatsache, dass den meisten selbst das Damoklesschwert der Prekarisierung über dem Haupte schwebt, wird man sich der Verdrängung dieses Umstandes gerne hingeben und suhlt sich in der Verachtung gegenüber jenen, die es schon erwischt hat. Verharrend in einem anachronistischen Standesdenken ignoriert man die Tatsache, dass immer mehr immer ärmer werden, verneint das als ein konkretes Bedrohungsszenario für sich selbst und verhält sich wie gewohnt maximal affirmativ jenen Umständen gegenüber, deren Resultat es ist, dass man auf seinem Weg zu Deichmann öfter und öfter nach ein paar Cent gefragt wird.
Der Inhaber des sportlich-eleganten Haute Couture Geschäfts Borgmann spricht von „blank liegenden Nerven“, von „furchtbaren Tagen“, ja sogar von „Beängstigung“ – und all das ist auch angebracht, nur aus völlig anderen Gründen.
Seine und Voss’ Armutsschilderung führt zu dem, was sie ihnen nach auch bezwecken soll – Armutsverachtung, bräsige Selbstzufriedenheit und ein „härteres Durchgreifen“ – aber nicht zu dem, was sie eigentlich hervorbringen sollte: Empörung, Unbehagen, Beunruhigung und ein Gewahrwerden darüber, dass eine Gesellschaft, in der es Armut gibt, eine unmenschliche Gesellschaft ist, die unter keinen Umständen so bleiben darf.