denn sie wissen, was sie tun.

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Diskussionsbeitrag über Faschismus und die Krefelder AfD

Im Mai 2014 – also wenige Monate nachdem Gruppen wie Pegida oder HoGeSa das Tageslicht erblickten – trat die Alternative für Deutschland zum ersten mal bei einer Kommunalwahl in Krefeld an und erhielt 4,3% der Stimmen. Mit 8,3% bei der Bundestagswahl 2017 und 7,8% bei der Europawahl 2019 konnte sich die Krefelder AfD in der Parteienlandschaft etablieren. Wenn wir heute auf die Agitation der vergangenen fünf Jahre zurückblicken, sehen wir zu allererst hunderte weinerliche Facebookbeiträge, aber auch diverse kleinere und größere Veranstaltungen, teilweise ohne Beachtung der Öffentlichkeit, teilweise mit nennenswertem Gegenprotest. Auch wir haben uns an diesem Gegenprotest beteiligt.

Was bisher geschah…

Am 28.9.2016 besuchte der Möchtegern-Malocher Guido Reil die AfD in der Gaststätte Hexagon im Seidenweberhaus. Etwa 30 Antifaschistinnen und Antifaschisten überraschten die anwesenden AfDler und AfDlerinnen mit einem spontanen Protest vor dem Eingang. Etwa ein halbes Jahr später – am 18.4.2017 – fanden sich nach vorheriger Mobilisierung bis zu 150 Personen aus dem antifaschistischen und bürgerlichen Spektrum zu einer Veranstaltung mit Beatrix von Storch in Oppum ein. Gemeinsam mit unseren Genossinnen und Genossen von Crème Critique nutzten wir diesen Protest, um die anstehenden Blockaden des AfD-Bundesparteitages in Köln zu bewerben.

Am 4.10.2017 verhinderten 50 Personen durch eine Gegendemonstration gemeinsam mit dem Pächter des Brauhauses Wienges eine geplante „Jubelfeier“ der AfD. Im September 2019 schaffte es dann sogar die Ankündigung von antifaschistischem Gegenprotest, dass die AfD eine Veranstaltung mit Andreas Kalbitz und Rüdiger Lucassen kurzfristig absagte.

Im Nachgang hielt sich das Gerücht, dass der zuvor ahnungslose Inhaber des Veranstaltungsortes – Picnic le Club – die AfD ausgeladen hätte. Doch angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen Jahren mehrere offensichtlich erkennbare AfD-Veranstaltungen dort stattfinden konnten, erscheint die halbherzige Distanzierung des Inhabers wenig glaubwürdig. Vielmehr können neben der Protestankündigung auch interne Machtkämpfe der Grund für die Absage des Kalbitz-Auftritts in Krefeld und weiteren Städten in NRW gewesen sein.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der (Krefelder) AfD ist bei all den angekündigten und tatsächlichen Gegenprotesten zu kurz gekommen; das wollen wir hiermit nachholen.

Wo steht die (Krefelder) AfD?

Der Krefelder Ortsverband der AfD zählt sich zu dem sich selbst als „gemäßigt“ beschreibenden Teil der Partei. Wenn möglich, präsentiert er sich als demokratisch-konservativ und geht auf Distanz zu Vertreterinnen und Vertretern des „Flügels“, also der völkischen rechtsaußen-Strömung innerhalb der AfD rund um Björn Höcke.
So war die Krefelder AfD wenig erfreut darüber, dass der Abstecher des Flügel-Anhängers Andreas Kalbitz‘ und Rüdiger Lucassens nach Krefeld an die Öffentlichkeit gelangte und dank antifaschistischer Intervention so große Wellen schlug.

Die Außendarstellung ist insbesondere durch ihre Beiträge bei Facebook geprägt. In diesen beklagen sie beinahe täglich die angeblich zunehmende Gewalt durch Geflüchtete und Personen mit Migrationshintergrund, „entartete“ political Correctness sowie eine Dekadenz der Gesellschaft. Damit unterscheidet sich die Krefelder AfD in ihrem Social Media Auftritt nicht von anderen rechten Gruppen, die schon seit Jahren die Abschrift von Polizeimeldungen gepaart mit apokalyptischen Szenarien und der Selbstidentifikation als Opfer zur politischer Agitation uminterpretieren.

Für uns als antifaschistische Gruppe stellt sich an dieser Stelle zwangsläufig die Frage:

Ist die (Krefelder) AfD faschistisch?

In dieser Frage herrscht – und das mag auf dem ersten Blick irritierend wirken – kein klarer Konsens aus antifaschistischer Sicht. Doch wirklich verwunderlich ist das nicht; schließlich ist es schon fast ein immanenter Bestandteil des Faschismus, dass er sich sehr unterschiedlich definieren lässt. Wir wollen uns im weiteren Verlauf des Textes an der Faschismusdefinition des britischen Professors Roger Griffin orientieren, wohl wissend, dass das Heranführen anderer Faschismusdefinitionen zu einem anderen Ergebnis führen könnte.

Nach Griffin basiert der Faschismus auf einem Zusammenspiel von zwei zentralen Merkmalen: Ultranationalismus und Palingenesis (Neugeburt). In Abgrenzung zum Nationalismus ist mit Ultranationalismus die Auffassung gemeint, dass es eine tief verwurzelte nationale Identität eines Volkes gibt. Das macht sich u.a. durch Rassismus oder Kulturalismus bemerkbar. Palingenesis definiert eine angestrebte Neugeburt der Gesellschaft mit traditionellen Elementen, was den Faschismus von einem rückwärtsgewandten Traditionalismus (wie etwa beim Konservativismus) unterscheidet. Die palingenetische Idee geht davon aus, dass nach einer Phase des Verfalls und der Dekadenz die Gesellschaft neu geboren werden müsse. Das zeigt sich gerne in militaristischer Ausrichtung oder Umsturz- und Revolutionsrhetorik.
Anknüpfend an weitere Faschismustheorien – wie die 14 Merkmale des Ur-Faschismus nach Umberto Eco – möchten wir an dieser Stelle die Glorifizierung des Kampfes zum sinnstiftenden Element als weiteres Merkmal des Faschismus hinzufügen und haben damit das Postulieren von Massenaufmärschen, Disziplin, Uniformierung, Bellizismus und Heroismus im Hinterkopf.

Mag der Ultranationalismus bei der Krefelder AfD noch vorhanden sein, so ist die Übertragung des Palingenesis-Gedankens bereits schwierig. Zwar wird die Gesellschaft zweifelsfrei als dekadent betrachtet, doch das politische Ziel scheint weniger eine Revolution nach vorne, als vielmehr der Rückfall in alte Zeiten zu sein. Noch schwieriger wird es, in der Krefelder AfD einen Hang zum Heldentum sowie die Vorstellung eines Lebens für den Kampf zu finden, was unweigerlich die Frage aufwirft:

Warum befassen wir als antifaschistische Gruppe uns mit einem scheinbar nicht faschistischen Kreisverband einer Partei?

Werfen wir dazu einmal einen Blick auf den NRW-Landesverband der AfD und anschließend auf den Bundesverband.

Im Sommer 2019 geriet der mitgliederstärkste Landesverband der AFD bundesweit in die Schlagzeilen. Grund hierfür war die Übernahme des Landesvorsitzes durch den nationalkonservativen Flügel-Sympathisanten Thomas Röckemann. Der Ex-Polizist und Nazi-Anwalt war der Sieger eines seit Jahren andauernden Machtkampfes zwischen dem vermeintlich gemäßigten bürgerlich-konservativen Block und dem offen völkisch auftretenden „patriotischen Lager“. Dieser kulminierte im Juli auf dem Parteitag im niederrheinischen Kalkar. Röckemanns Ex-Co-
Vorsitzender Helmut Seifen, der seinen Landesverband vom „Flügel“ unterwandert wähnte, drängte auf einen „Neustart“ der NRW-AfD, um die verbandsinternen Machtverhältnisse endgültig zu klären – das Kalkül ging nicht auf.

Drei der zwölf Vorstandsmitglieder beharrten auf ihre Posten. Die nötige Zweidrittelmehrheit zu ihrer Abwahl kam nicht mehr zustande. Röckemann hielt sich mit seinen beiden Parteikameraden bis in den Herbst hinein an der Spitze der NRW-AfD. Dieses Trio der Scheußlicheit hatte es in sich:

Röckemann, der Winston Churchill ungeniert als „Massenmörder“ titulierte und in Parteikreisen salopp „Höckemann“ gerufen wird, wurde von J. Spenrath und C. Blex flankiert. Letzterer war nicht nur Höcke-Gastgeber bei dessen NRW-Visiten, er gehört auch zu den Freunden und Förderern der „Neuen Rechten“ und gilt als einer ihrer „Türöffner“ im nordrhein-westfälischen Landtag. Unter anderem zählt der stramm rechte Burschenschaftler, Arcadi-Mitbegründer und Freund der Identitären Bewegung Zacharias Schalley zu seinen engsten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen.
Seit dem Parteitag im Oktober 2019 hat nun der Oberst a.D. der Bundeswehr Rüdiger Lucassen – zuletzt am 19.11.2019 zu Gast bei der Krefelder AfD – das Heft in der Hand. Dieser konnte sich, nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung seitens des Bundesvorstands, gegen Röckemann behaupten. Der Zuspruch der Delegierten fiel jedoch alles andere als eindeutig aus. Lediglich ≈60% der Stimmen entfielen auf den „gemäßigten“ Lucassen, dessen klare Positionierung gegen den „Flügel“ jedoch bisher auf sich warten lässt und dessen krude national-chauvinistischen Militarisierungsfantasien kaum minder beängstigend sind als die verbalen Entgleisungen von Röckemann, Blex und Co.

Die nordrhein-westfälische AfD bleibt ein tief gespaltener Landesverband, um dessen Führung es auch in Zukunft heftige Auseinandersetzungen geben wird. Wie diese ausgehen mögen hängt maßgeblich von der Entwicklung der Partei auf Bundesebene ab – die Aussichten stimmen mehr als düster.

Es bedarf keiner Tiefenanalyse um festzustellen, dass die AfD seit ihrer Gründung kontinuierlich weiter nach rechts driftet. Das Image der euroskeptischen Professorenpartei wurde noch zu Zeiten Luckes überholt. Seit 2013 treibt die AfD die Verschiebung des öffentliches Diskurses munter voran. Ein Tabubruch jagt den nächsten – die Verrohung von Sprache und Gesellschaft fallen zusammen. Die, insbesondere im Osten, bahnbrechenden Erfolge der AfD enttarnen die milieuübergreifenden reaktionären und rechtsradikalen Potentiale großer Teile dieser Gesellschaft.

Dass der „Flügel“ unter seinem – de jure faschistischen – „Führer“ Björn Höcke nicht nur ein akzeptierter, sondern ein integraler Bestandteil der AfD ist, dürfte auch den naivsten Bürgerinnen und Bürgern spätestens seit der Thüringen-Wahl klar sein, nach welcher Höcke von Meuthen geadelt und von Gauland in die Mitte der Partei hofiert wurde.

Hinzu kommen kaum übersehbare Überschneidungen mit Mitgliedern der Identitären Bewegung und anderen rechten Gruppierungen sowie die Rolle als Auffangbecken für (ehemalige) Neonazi-Kader. Erwähnt seien hierzu beispielhaft Paul Meyer, Jean-Pascal Hohm, Konrad Kohlhas, Markus Frohnmaier, Andreas Kalbitz, Jens Maier, Björn Höcke (aka Landolf Ladig), Ralph Weber, Robert Teske, Jonas Schick, Frank Magnitz, Doris von Sayn-Wittgenstein, Hildburg Meyer-Sande, Joel Bußmann, Kai Laubach oder Jannik Brämer. Die Liste ließe sich endlos weiterführen.

„Gemäßigte“, scheinbar „nur“ konservative Ortsverbände wie der in Krefeld dürfen bei diesen Entwicklungen allerdings nicht als die Refugien der Vernunft innerhalb einer scheinbar orientierungsschwachen Partei missverstanden werden, denn die Stoßrichtung der AfD ist klar und die Rolle der kommunalen Akteure bezüglich der parteilichen Entwicklung ist nicht zu unterschätzen. Es sind gerade diese Kommunalgruppen, denen ein gefährliches Potential innewohnt.

Ob es Strategie ist, dass sich auf örtlicher Bühne gemäßigt gegeben wird, um zu gegebener Zeit die Zähne zu zeigen wäre an dieser Stelle reine Spekulation. Die Überbetonung des eigenen Konservatismus in Abgrenzung zum innerparteilichen Rechtsradikalismus ist jedoch insofern rational, als dass der bürgerlich real-kommunalpolitische Anstrich einen Anknüpfungspunkt für die konservativ-bürgerliche Mitte aufrecht erhält.

Die Brandschutzmauer der CDU nach rechts außen bröckelt indes nicht zuletzt deshalb, weil noch auf Leute in der AfD verwiesen werden kann, die als „konservative Bürger“ einen scheinbar legitimen Raum rechts von CDU und FDP besetzen. Dieses Übergangsfeld wird von Georg Maaßen und anderen Mitgliedern der Werteunion bereits seit längerem bespielt. Das Bewusstsein dafür, dass eine Kooperation mit der AfD zwangsläufig dazu führen wird, dass die parteiliche Vertretung der konservativen Mitte in den braunen Sumpf abrutscht, scheint bei den Christdemokratinnen und -demokraten noch weitgehend vorhanden.
Es bleibt jedoch zu befürchten, dass bei der fortwährenden Erosion der Mehrheiten in diesem Land ein auf Machterhalt ausgerichteter Parteiapparat wie der der CDU, über kurz oder lang den Schulterschluss mit der AfD suchen oder sich als Steigbügelhalter anbiedern wird. Thüringen ließ diese Tendenzen bereits erahnen.

…, denn sie wissen, was sie tun.

Ob man den „Flügel“ oder die gesamte AfD nun als faschistisch, faschistoid, protofaschistisch oder ähnlich bezeichnet, ist an dieser Stelle irrelevant. Fest steht: Die AfD ist der parlamentarische Arm einer faschistischen Bewegung, die gerne unter dem Begriff „Neue Rechte“ zusammengefasst wird. Die Überschneidungen und Sympathien sind so offensichtlich und flächendeckend, dass sie die Rolle der AfD nicht nur beeinflussen, sondern diese gar definieren.

Der Krefelder Ortsverband ist Teil einer Partei, welche sich auch durch die aktive Integration des „Flügels“ stetig radikalisiert. Ein jeder Wähler und eine jede Wählerin, jedes Mitglied und sämtliche Repräsentanten und Repräsentantinnen tragen dafür die Verantwortung! Denn weder ein Kreis- noch ein Landesverband lässt sich isoliert vom Bundesverband betrachten.

Man kann behaupten, dass ein Großteil der Krefelder AfD-Wählerinnen und Wähler wenig über die internen Machtkämpfe innerhalb der AfD NRW weiß, geschweige sich für diese interessiert. Entscheidend für die Wahl der AfD – sei es bei einer Kommunal-, Europa- oder Bundestagswahl – ist sicherlich die nationale Wahrnehmung der Gesamtpartei, die durch immer neue „Skandale“ geprägt ist. Wer die (Krefelder) AfD wählt, wählt das, wofür Kalbitz, Höcke und Co stehen: Faschismus.

Und, auch das darf nicht vergessen werden: Ein Blick in die Geschichte zeigt, welche wichtige Rolle der Konservativismus für die Machtergreifung des Faschismus gespielt hat. Das nimmt nicht nur die konservativen AfD-Mitglieder und -Kreisverbände in die Verantwortung, sondern auch Politikerinnen und Politiker der sogenannten Mitte, die eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht nur nicht ausschließen, sondern sogar begrüßen.

Der Ordnungsruf des Bundestagsvizepräsident Kubicki für das Tragen eines Antifa-Buttons zeigt sogar noch mehr: Es ist nicht einmal notwendig, mit der AfD zusammenzuarbeiten, wenn man deren politisches Programm übernimmt und selber umsetzt. Der Kampf gegen Faschismus darf sich daher nicht nur auf zweifelsfrei faschistische Organisationen und Parteien fokussieren, sondern muss auch über diese hinaus blicken. Es bleibt viel zu tun.