Wieso wir mehr über Femizide reden sollten

 

Anfang Dezember wurde der Meerbuscher Patrick H. zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er im April 2019 versuchte, seine ehemalige Lebensgefährtin Constanze K. zu vergewaltigen und sie nach zunächst erfolgreicher Flucht in einem Neusser Blumenladen erschoss.[1]

Sowohl zum Zeitpunkt der Tat, als auch im Zuge des kürzlich stattgefundenen Gerichtsprozesses, fand der Mord an Constanze K. verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit in regionalen und überregionalen Medien. Doch nicht etwa, weil die erschreckende Tat sich in eine ganze Reihe an ähnlichen Taten einreiht und somit die Notwendigkeit einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Beziehungsgewalt und den dahinterstehenden gesellschaftlichen Verhältnissen verdeutlicht, sondern, weil der Täter elf Jahre zuvor bei der Casting-Show DSDS aufgetreten war. Statt einer Analyse der strukturellen Gewalt ließen die Autoren vieler Zeitungsberichte lieber den ehemaligen DSDS-Auftritt Revue passieren[2] oder verharmlosten den Mord als ein tragisches „Beziehungsdrama“.[3]

Kein Wort darüber, dass die Umstände der versuchten Vergewaltigung und des Mordes den 122 Femiziden im Jahr 2018 (147 im Jahr 2017) zum Verwechseln ähnlich sind, wie man an der Auflistung von Zeit Online[4] sehen kann.

Wie Patrick H. sind knapp 60% der männlichen Tatverdächtigen, denen die Tötung ihrer (ehemaligen) Partnerin vorgeworfen wird, bereits zuvor durch Beziehungsgewalt auffällig geworden.[4] Insgesamt 140.000 Fälle von Beziehungsgewalt verzeichnete das BKA im vergangenen Jahr; über 114.000 der Opfer waren weiblich.[5] Bei den Delikten handelte es sich neben Mord und Totschlag unter anderem um Körperverletzung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Stalking und Freiheitsentzug. Insbesondere die Tatsache, dass die Opfer von sexuellen Übergriffen zu fast 100% weiblich waren, zeigt: Beziehungsgewalt ist geschlechtsspezifisch; begangen von Männern an Frauen. Durch das Erkennen genau dieses Phänomens wurde der Begriff „Femizid“ geprägt, der diese Art der geschlechtsspezifischen Tötungsdelikte gezielt bezeichnen will, um sie (z.B. statistisch, aber auch diskursiv) greifbar zu machen.

Es verwundert nicht, dass Studien von beispielsweise Gerd Bohner[6] oder Nicola Brosi[7] zu dem Ergebnis kommen, dass Vergewaltigungsmythen wesentlich stärker von Männern als von Frauen bejaht werden, insbesondere von Personen, die eine konservative Einstellung zu Frauenrechten besitzen. Unter Vergewaltigungsmythen versteht man Aussagen, die eine Vergewaltigung „entschuldigen, die Täter entlasten und den Opfern eine Mitverursachung der Tat zuschreiben“.[7] Die euphemistische Bezeichnung des Vergewaltigungsversuches und des Mordes als „Beziehungsdrama“ kann bereits als Spielart des letztgenannten Mythos angesehen werden. Schließlich gibt es bei einem Beziehungsdrama immer zwei Akteure. Erkennbar ist in den Studien darüber hinaus – und auch das ist wenig überraschend – eine Korrelation zwischen Männern, die Vergewaltigungsmythen bejahen und Männern, die selbst sexuelle Gewalt ausüben. Dabei kann die Reproduktion von Vergewaltigungsmythen durchaus dazu führen, dass sexuelle Gewalt sich normalisiert.

Auch Patrick H. zwang vor dem Verhältnis mit Constanze K. eine damalige Partnerin gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen.[8] Als Constanze K. nach ihrer Trennung im Januar 2019 Sachen aus der Wohnung von Patrick H. holen wollte, griff dieser sie mit einem Messer an und versuchte, sie zu vergewaltigen. Hier lassen sich erneut Parallelen zu den 122 Femiziden im Jahr 2018 ziehen. Gerade in Trennungsphasen, in denen die Frau eine neue Beziehung eingeht (so der Fall bei Constanze K.), werden die ehemaligen Partner gewalttätig. Der verlassene Mann fühlt sich in seinem „Mannsein“ verletzt und seines eingebildeten Besitzansprüches beraubt, sobald die Frau versucht, ein Leben ohne ihn zu führen. Ein weiteres Beispiel: 2018 brachte der Saarbrückener Christian R. seine Frau um, weil er vermutete, dass sie ein Verhältnis mit ihrem Fahrlehrer habe. Nach der Tat schrieb er dem Taxifahrer „Schachmatt. Arschloch.“[9] Die Einstellung „Wenn ich sie nicht haben darf, hat sie das Recht verwirkt, zu leben“ zieht sich wie ein roter Faden durch die lange Liste an Beziehungsmorden.

Am Tag des Mordes versuchte Patrick H. trotz eines Annäherungsverbotes erneut, Constanze K. zum Geschlechtsakt zu zwingen, ehe er sie ermorden wollte. Diesmal unter Bedrohung mit einer Pistole. Constanze K. konnte zwar in einen nahegelegenen Blumenladen flüchten, doch Patrick H. folgte ihr und erschoss sie dort. Kurz zuvor schickte er eine Nachricht an Constanzes Eltern, in der er ihnen eine Mitschuld an dem Mord (sie seien mitverantwortlich für die Trennung) gab. „Jetzt seht ihr mal wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren“, soll er sinnmäßig geschrieben haben. Ein Verhalten und Gedankengang, welcher sich bei vielen weiteren Femiziden findet. Die Männer sind der Auffassung, das Recht auf ihrer Seite zu haben. Sie agieren vermeintlich rational und planen ihren Mord aus „moralischen“ Gründen. Weder vor, noch während, oder nach dem Mord bereuen die Täter ihre Tat, auch wenn viele – so wie Patrick H. – aus Angst vor den Konsequenzen im Anschluss versuchen, Suizid zu begehen.
Die Tötung von Frauen durch Männer unterscheidet sich von der wesentlich geringeren Zahl an Tötungen von Männer durch Frauen (2018: 26). Bei einer Durchsicht aller Tötungsversuche im Beziehungskontext in Österreich in den vergangenen drei Jahren ist die Leiterin des Wiener Instituts für Konfliktforschung zu folgender Erkenntnis gekommen: „Bei den Männern waren es durchweg Morde. Bei den Frauen waren es fast ausnahmslos fahrlässige Tötungen, also keine Vorsatzdelikte.“[10]

Im öffentlichen Diskurs werden Fälle wie der hier beschriebene meist als etwas Privates gesehen, als ein tragisches Schicksal in einer individuellen Beziehung. Dabei ist der Mord von Männern an ihren (Ex-)Partnerinnen alles andere als privat, sondern Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen jährlich 114.000 Fälle von Beziehungsgewalt an Frauen verübt werden und man sich dennoch weigert, über ein strukturelles Problem zu sprechen. Anders als in Frankreich, wo Femizide dank des Agierens vieler Feministinnen und Feministen mittlerweile öffentlich thematisiert werden und Ende November 2019 um die 50.000 Demonstrantinnen alleine in Paris unter dem Motto #noustoutes („Wir alle“) auf der Straße waren, um gegen die Missstände zu protestieren[11], ist es in Deutschland bereits schwierig, den Begriff „Femizid“ überhaupt als eigenständigen Begriff zu etablieren. Das Nicht-Erkennen-Wollen dieses Problems verhindert die Ursachenforschung, denn der Mord ist nur die letzte gewalttätige Handlung neben vielen weiteren Formen physischer und psychischer Gewalt. Es verhindert darüber hinaus eine Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Strukturen, in denen es für viele Männer normal zu sein scheint, einen Besitzanspruch gegenüber einer Frau zu stellen und diesen durch Gewalt durchzusetzen. Schließlich sorgt es auch dafür, dass kaum systematische Analysen zu Gewalt an Frauen existieren, die dringend notwendig wären, um etwas zu verändern.

Brecht das Schweigen, nicht die Frauen!

Rest in Power Constanze

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1
https://rp-online.de/nrw/staedte/neuss/nach-bluttat-in-neuss-mordverdaechtiger-ist-polizeibekannt_aid-39114727

2
https://www.derwesten.de/region/neuss-nrw-dsds-toetete-ex-freundin-dieter-bohlen-mord-duesseldorf-blumenladen-id227489283.html

3
https://www.derwesten.de/region/nach-toedlichen-schuessen-in-neuss-neue-details-zum-beziehungsdrama-um-ex-dsds-kandidat-id226687957.html

4
https://www.zeit.de/2019/51/frauenmorde-gewalt-partnerschaft-bundeskriminalamt

5
https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Partnerschaftsgewalt/partnerschaftsgewalt_node.html

6
https://www.researchgate.net/publication/236331106_Vergewaltigungsmythen_Rape_myths

7
https://edoc.ub.uni-muenchen.de/3002/

8
https://www.derwesten.de/region/neuss-nrw-dsds-toetete-ex-freundin-dieter-bohlen-mord-duesseldorf-blumenladen-id227489283.html

9
https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/mord-mit-axt-13-jahre-haft-fuer-40-jaehrigen-bischmisheimer_aid-34793319

10
Emma Nr. 349, S. 70

11
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-11/femizide-demonstration-frankreich-gewalt-frauen-noustoutes